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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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geschickt und ehrgeizig genug, dass sie bald ziemlich zügig laufen konnte. Nur beim Versuch, eine Pirouette zu drehen, kam sie ins Stolpern und wäre fast aufs Eis gefallen, wenn Nicolas sie nicht aufgefangen und festgehalten hätte. Noch nie war sie ihm so nahe gekommen. Als Musiker hatte er keinen gestählten, stämmigen Körper wie die hart arbeitenden Männer Montevideos. Alles an ihm war schmal und feingliedrig. Doch sein Griff war fest, und sie fühlte sich in seinen Armen geborgen. Kurz waren ihre Lippen ganz dicht beieinander, und Carlota hätte liebend gerne herausgefunden, wie sie wohl schmeckten, sich anfühlten, rochen. Noch allerdings traute sie sich nicht, den verbleibenden Abstand zu überbrücken.
    An jenem Abend lag sie lange wach und malte sich aus, Nicolas zu küssen. Als junges Mädchen hatte sie einmal Adolfos und Mercedes’ Sohn geküsst, weil der behauptet hatte, sie würde es nicht wagen, und sie ihm, stolz, wie sie war, das Gegenteil beweisen wollte. Es hatte sich angefühlt, als würde man eine Schnecke im Mund haben, und sie war angewidert zurückgezuckt. Nicolas zu küssen, da war sie sich sicher, war gewiss viel angenehmer …
    Leider bot sich so schnell keine neue Gelegenheit für einen Kuss. Obwohl es ihm sichtlich Vergnügen bereitete, mit ihr die Zeit zu verbringen, und er ihr mit seiner samtigen Stimme und dem warmen Lächeln ständig versicherte, wie zauberhaft sie war, blieb er stets ein wenig zurückhaltend.
    Viele Monate waren mittlerweile seit dem Erdbeben in Montevideo und ihrer schicksalhaften Begegnung mit Tabitha vergangen. Der Winter brach an und mit ihm die Zeit, da man auch im Freien Eislaufen konnte, an einigen Tagen sogar auf dem Main, aber leider beherrschte Carlota den Sport mittlerweile so gut, dass sie nicht mehr zu fallen drohte und er sie nicht mehr auffangen musste.
    Reiche Leute, so fand sie heraus, vertrieben sich die Zeit in der kältesten Jahreszeit auch anders – indem sie nämlich in kunstvoll geschnitzten Prunkschlitten an Schlittenparaden teilnahmen. Natürlich konnte sie sich unter den Blicken der neugierigen Passanten nicht mit Nicolas zeigen, sondern saß mit Albert und Rosa in einer Kutsche, aber Nicolas kam zu einer bestimmten Zeit an einen festgelegten Ort, wo sie ihm verstohlen eine Kusshand zuwarf.
    An den folgenden Wochenenden brachen sie zu winterlichen Jagdgesellschaften nach Soonwald im Hunsrück oder Bad Orb im Spessart auf. Tabitha hatte offenbar Pferde gefürchtet und Carlota nie reiten gelernt, aber die Frauen begleiteten die Männer in der Kutsche oder im Schlitten, und Carlota hatte sich bei ihrer Großmutter dafür eingesetzt, dass Nicolas einmal mitkommen durfte. Er war kein guter Jäger, jedoch ein passabler Reiter, und auch wenn sie kaum ein Wort miteinander wechselten, setzte sie sich immer unauffällig neben ihn, wenn sie in den Pausen heißen Tee mit Rum tranken.
    Ihre Großeltern schienen weiterhin kein Misstrauen zu entwickeln, nur einmal fühlte Carlota Rosas Blick überaus nachdenklich auf sich ruhen und erschrak. Ahnte die Großmutter womöglich, welche Gefühle sie für Nicolas hegte? Oder gar etwas von ihrer wahren Identität?
    Doch sie sagte nur: »Ich freue mich, dass du dich nach der Verletzung so gut erholt hast. Jetzt kann ich es ja zugeben. Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht und dachte schon, du würdest nie wieder die Alte werden.«
    Carlota war etwas beschämt, hatte sie die vermeintlichen Kopfschmerzen doch stets ganz eigennützig als Vorwand genommen, sich aus brenzligen Situationen zurückzuziehen. Je besser sie sich in das neue Leben einfügte, desto seltener wurde das notwendig. »Es geht mir tatsächlich gut«, murmelte sie.
    »Und du hast Freude am Gesangsunterricht.«
    Carlota wappnete sich gegen den Vorwurf, dass sie gar zu vertraulich mit ihrem Klavierlehrer umging, doch Rosas Gedanken schweiften ab. »Ich habe einst auch Gesangsstunden genommen«, sagte sie leise.
    Carlota hatte sie noch nie singen gehört. »Und warum musizierst du jetzt nicht mehr?«, fragte sie.
    »Ach, das ist eine lange Geschichte, und sie weckt bloß traurige Erinnerungen«, antwortete Rosa ausweichend.
    Carlota war neugierig, aber sie wollte nicht nachbohren. Besser, sie mied ein allzu persönliches Gespräch mit ihren Großeltern. Offenbar liebten die beiden Tabitha über alles und verwöhnten sie nach Strich und Faden, doch Berührungen und Umarmungen waren selten. Auch miteinander gingen sie durchaus freundlich um,

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