Die Rosen von Montevideo
versucht?«
Sie zuckte die Schultern. »Als Kind habe ich manchmal mit Espe gesungen.«
»Wie geht es eigentlich Ihrer Tochter? Sie muss groß geworden sein. Hat sie immer noch so schwarze Haare?«
»Sie sind etwas heller geworden, braun mit einem rötlichen Glanz – und lockig.«
»Bestimmt ist sie ein ganz entzückendes Kind – zumindest, wenn sie nach ihrer Mutter kommt.«
Rosa lächelte geschmeichelt, Fabien deutete auf das Klavier. »Ich muss mich nun wieder dem Spiel widmen, ansonsten werde ich nicht bezahlt. Ich habe mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen.«
Er vertiefte sich in die Noten, und seine Finger huschten über die Tasten – es waren so schöne, geschmeidige Finger.
Rosa blieb am Klavier stehen und hörte versonnen zu. Albert achtete weiterhin nicht auf sie. Sie rang mit sich, doch als Fabien sein Stück beendet hatte, beugte sie sich entschlossen zu ihm.
»Vielleicht haben Sie recht«, sagte sie. »Vielleicht sollte ich tatsächlich Gesangsstunden nehmen. Sie … Sie würden mich doch unterrichten, Monsieur Ledoux?«
Das Glück kehrte schleichend in ihr Leben zurück, richtete sich dann aber beharrlich dort ein. Am Anfang war es Sehnsucht nach einem vertrauten Menschen, der Rosa bewogen hatte, Fabien als Gesangslehrer zu engagieren. Doch zu ihrem Erstaunen besaß sie tatsächlich jenes Talent, das er ihr prophezeit hatte: Ihre Stimme war hell und klar, und mit den richtigen Übungen traf sie mühelos auch die ganz hohen Töne. Selten hatte ihr etwas so viel Freude bereitet wie das Singen. Deutsche Lieder wie Schuberts
Lindenbaum
gehörten ebenso zu ihrem Repertoire wie französische und spanische Weisen. Schon lange hatte sie nicht mehr in der Sprache der Kindheit geredet – auch Espe hatte Deutsch gelernt und nutzte es –, mit Fabien aber tat sie es umso lieber. Er verstand zwar kein Spanisch, begriff jedoch aufgrund dessen Ähnlichkeit zum Französischen, was sie meinte. Er selbst antwortete wiederum auf Französisch, das sie erst nur ansatzweise, dann immer besser verstand – und so entwickelte sich zwischen ihnen nach und nach eine Art Geheimsprache.
Anfangs hatte sie sich noch gescheut, in seiner Gegenwart zu singen, aber als ihre Stimme immer geschulter, er ihr immer vertrauter und das gemeinsame Musizieren selbstverständlich geworden war, konnte sie dabei nicht ruhig verharren. Anstatt ernst und aufrecht neben dem Klavier zu stehen, drehte sie sich im Takt und tanzte so oft durch das halbe Zimmer. Einmal brachte die Amme Valeria und Claire, und beide Mädchen glucksten begeistert, als sie an ihnen vorbeischwebte. Rosa hob ihr Kind hoch und herzte es, und diesmal reagierte Valeria nicht mit Weinen, sondern lachte noch lauter.
Sie mag mich ja doch, ging es Rosa beglückt durch den Kopf.
Anfangs hatte sie nur ein Mal in der Woche Gesangsunterricht, dann zwei oder drei Mal, irgendwann täglich. Und schließlich erklärte sie, Fabien solle doch wie einst wieder im Hause Gothmann wohnen, das sei doch viel praktischer. Er bejahte schnell, und seine Wangen erröteten vor Freude – es war das erste Mal, dass sie sich fragte, ob er nur ihre Stimme schätzte oder sie von Herzen mochte.
Der Gedanke, er könnte gar in sie verliebt sein, war zunächst erschreckend, weil skandalös. Aber je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto berauschender fühlte es sich an. Albert war seit Jahren nicht mehr errötet, wenn er sie sah, und er hatte ihr schon lange nicht mehr gesagt, dass er sie liebte.
Allerdings: Den Gedanken an Albert schob sie am liebsten weit weg. Er kam ohnehin immer spät nach Hause, und da sie nun nicht mehr darüber klagte, sogar noch später. Anfangs erzählte sie ihm noch begeistert von den Gesangsstunden, doch da er sie nie aufforderte, ihm einmal etwas vorzusingen, unterließ sie es. Sein mangelndes Interesse kränkte sie zu ihrem Erstaunen nicht ein bisschen. Die Musik gehörte schließlich ihr und Fabien und vielleicht den Kindern, Espe, und auch dem Hauspersonal – aber nicht ihm. Und auch nicht Adele, die zwar als musikbegeistert galt, den Winter jedoch meist im Bett verbrachte.
Als der Frühling mit seinem warmen Licht und satten Grün kam, das den Augen schmeichelte, und die Obstbäume und Wiesen sich in jenem bunten Gewand kleideten, das Rosas Sehnsucht nach dem weitaus kargeren Uruguay vertrieb, gingen sie dazu über, nach den Musikstunden im Garten spazieren zu gehen, und einmal kamen sie dabei am Gartenpavillon vorbei, wo sie Valeria geboren
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