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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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nur die Türme der Kathedrale, sondern die vielen kleineren, die die Häuser zierten und Miradores genannt wurden. Aus ihrer Perspektive erschienen sie sich direkt aus dem Wasser zu erheben. Die Uferzone, die sie umgab, war flach, doch zur Rechten der Stadt erhob sich ein Kegelberg, der ihr den Namen gegeben hatte und auf dem ein Kastell lag.
    Valeria konnte ihre Ungeduld nicht länger bezähmen. Sie wollte endlich wieder festen Boden unter den Füßen spüren! Doch auch als sie angelegt hatten, mussten sie noch gefühlte Ewigkeiten warten, bis sie tatsächlich das Schiff verlassen konnten: Erst als alle Formalitäten erledigt waren, stiegen sie in eines der italienischen Landungsboote, die jedes ankommende Schiff zu umkreisen pflegten. Das Ausschiffen selbst dauerte nur wenige Minuten, und wenig später waren sie ins lebhafte Treiben am Hafen geworfen. Von allen Seiten rief man ihnen etwas zu, und Valeria brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass all diese Menschen ihnen in den unterschiedlichsten Sprachen anboten, das Gepäck zu tragen oder die Stadt zu zeigen.
    Claire, die ungleich sprachbegabter war, versuchte, die verschiedenen Sprachen zu erkennen, Valeria hingegen studierte die vielen fremden Gesichter. Fast alle Menschen waren etwas dunkelhäutiger als in Europa, erinnerten sie an Espe, und kurz wurde die Sehnsucht nach der Frau, die sie in ihrer Kindheit stets behütet und beschützt hatte und die ihr näher als eine Großmutter stand, übermächtig. Wie gerne wäre sie wohl selbst in die Stadt zurückgekehrt, aber aufgrund ihrer unerschütterlichen Treue zu Rosa de la Vegas hatte sie es immer abgelehnt, Deutschland zu verlassen.
    Ich muss ihr unbedingt schreiben, nahm sich Valeria fest vor.
    Carl-Theodor winkte einen Mann heran, den er offenbar kannte. Es war der Kutscher der de la Vegas’, der ihr Gepäck in Empfang nahm und sie zum Haus der Familie bringen wollte.
    »Ach bitte, Onkel Carl-Theodor!«, rief Valeria. »Müssen wir wirklich schon zu den de la Vegas’ fahren? Wir sind doch eben erst angekommen und haben so lange nur das Meer gesehen. Können wir nicht erst eine Stadtrundfahrt machen?«
    Der Onkel blickte skeptisch drein, aber Claire unterstützte Valerias Ansinnen, so dass er schließlich nachgab.
    Gleich hinter dem wuchtigen Zollgebäude öffnete sich das Hafenviertel mit seinen farbenfrohen Auslagen und improvisierten Buden. Mulattische Hafenarbeiter schleppten sich mit Säcken ab oder rollten Öl- oder Bierfässer über die Straßen, Hausmädchen waren zu Einkäufen unterwegs. Vom Hafen führte die Fischergasse weg, die Calle de los Pescadores, wo an diversen Ständen erkalteter Grillfisch angeboten wurde.
    »Hier leben ja lauter Italiener!«, rief Claire.
    »Woher weißt du das?«, fragte Valeria.
    »Weil ich ihre Sprache verstehe, zumindest ein bisschen. Sie ist dem Spanischen gar nicht so unähnlich und …«
    Sie stockte. Sie hatten eine andere Straße – einen Flanierboulevard mit Juweliergeschäften, die Confitería Oriental der Familie Narizano, wo es Liköre und süße Spezialitäten zu kaufen gab, und jeder Menge internationalen Buchhandlungen – erreicht. Claire stürzte begeistert zu einer der Auslagen.
    »Du und deine Bücher!« Valeria verdrehte die Augen. »Sag bloß, du willst dich wieder darin vergraben, wo es hier doch viel Interessanteres zu entdecken gibt.«
    Sie eilte weiter in Richtung der Plaza Matriz, und tatsächlich hatten sie wenig später den quadratischen Hauptplatz vor der Kathedrale erreicht. Zwei mächtige Linden, die hier gepflanzt worden waren, spendeten Schatten, die Häuserfronten waren einheitlich in Weiß gehalten, die Kathedrale wirkte sehr mächtig.
    Die Mädchen waren so schnell gelaufen, dass Carl-Theodor kaum nachgekommen war. Stöhnend ließ er sich auf einer Bank im Schatten der Linden nieder. Er gewährte den beiden ein Stündchen, um den Platz und die umliegenden Straßen und Gässchen zu erforschen, mahnte danach aber, dass nun die Zeit gekommen war, um zum Haus der de la Vegas’ zu fahren und sich dort auszuruhen.
    Valeria war gar nicht müde, obwohl sie in der Nacht vor Aufregung kaum geschlafen hatte, und folgte ihrem Onkel und der Cousine nur widerwillig, hätte sie doch viel lieber noch mehr von dieser Stadt gesehen. Dieser Lärm, dieses Stimmengewirr, diese fremdländischen Menschen, diese Farbenpracht – sie alle versprachen Aufregung … und noch mehr. Plötzlich war sie sich sicher: Hier würde sie ein ganz anderes Leben

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