Die Rosen von Montevideo
sie verließ die Kajüte so gut wie nie. Er hatte sich zwar darauf gefreut, mit seiner Tochter zu reisen, die Enttäuschung, dass sie sich nun jedoch komplett zurückzog, schnell geschluckt – schließlich war er jene einsamen Tage auf hoher See gewohnt. Antonie hatte ihn nie nach Montevideo begleitet, und in Stunden wie diesen konnte er sich vormachen, dass sie noch lebte.
Es überraschte ihn selbst, dass er diesen Schein wahren wollte. In den letzten Jahren waren sie so distanziert wie Fremde miteinander umgegangen, fast ein wenig so wie Rosa und Albert, und manchmal hatte er sich bedauernd gefragt, warum gerade ihnen beiden, so unterschiedlich sie auch waren, es nicht gelang, eine glückliche Ehe zu führen.
Trotz aller Entfremdung: Er vermisste Antonie oder vielleicht auch nur diesen steten Schmerz, dass sie ihn nicht lieben konnte und der den jungen Mann in ihm am Leben erhalten hatte – einen Mann, der Sehnsüchte und Träume hatte, der noch nicht abgeklärt auf sein Leben blickte, sondern den Enttäuschungen verbitterten und der noch darauf hoffte, mit einer Frau zu lachen und zu scherzen. Mit Antonies Tod war eine Quelle steten Haderns versiegt – doch genau das ließ ihn sich alt fühlen.
Nun, wie immer war das Reisen eine vorzügliche Abwechslung, und je weiter Hamburg hinter ihnen lag, desto mehr wuchs seine Vorfreude auf Montevideo.
Am Anfang hatte er wenig mit dem fernen Land anfangen können, und er hatte dort nur deshalb seine Geschäfte abgewickelt, weil Albert es so eingefädelt hatte. Sicher, eine gewisse Neugierde für alles Fremde hatte ihn immer angetrieben, aber in Montevideo hatte er viel erlebt, was ihn abgestoßen hatte – ständiges Chaos, viele Schießereien sowie Verrat und Intrigen, die der Krieg zwischen Blancos und Colorados hervorbrachte. Sozialpolitik wurde überhaupt keine betrieben: Die Kluft zwischen Arm und Reich war erschreckend tief.
Doch durch den regen Handel hatte sich die Bevölkerung vielen Errungenschaften Europas nicht gänzlich verschließen können, und Carl-Theodor hatte es zunehmend befriedigt, das Land mitzuprägen und zu wandeln. Er befürchtete nur, dass ein neuerlicher Rückschritt unvermeidlich war, nun, da es – ebenso wie Brasilien und Argentinien – im Krieg mit Paraguay lag. Er hatte nicht genau verstanden, worum es bei dem Konflikt wirklich ging, doch Julio de la Vegas hatte ihm zugesichert, dass es keine Kämpfe in Montevideo gab und das Leben dort seinen gewohnten Gang nahm. Nur deswegen war er bereit gewesen, Claire auf seine Reise mitzunehmen.
Der Gedanke an seine Tochter trieb ihn zurück in die erste Klasse. Sie hatten getrennte Kabinen, und wann immer er ihre betrat, lag sie mit blassem Gesicht in der Koje und erwies sich als ungewohnt wortkarg. Dennoch wollte er regelmäßig nach ihr sehen.
Als er den Gang betrat, stutzte er jedoch. Einer der Stewards trug ein reichlich beladenes Tablett in Richtung von seiner Kajüte. Ein Stück gebratenes Huhn mit Erbsen und Kartoffeln befand sich darauf, frisches Brot, Butter und Käse, Pflaumenpudding und eine Tasse Kaffee, außerdem ein Glas Portwein.
Er wollte ihm schon zurufen, dass er bereits gegessen hatte, doch dann stellte er fest, dass der Steward nicht etwa seine, sondern Claires Kajüte betrat. Wie merkwürdig! Sie sagte doch ständig, ihr sei schrecklich übel. Warum ließ sie sich dann solche Unmengen an Essen bringen? Ging es ihr vielleicht endlich besser?
Er wartete, dass der Steward die Kabine wieder verließ, ehe er langsam näher trat, und er hob schon die Hand, um zu klopfen, als er plötzlich Stimmen hörte.
Mit wem redete Claire da? Ohne Zweifel, es war eine Mädchenstimme, und sie kam ihm sehr bekannt vor. Es war doch nicht möglich, dass …
Anstatt zu klopfen, riss er die Tür auf. Die zwei Mädchen in der Kajüte fuhren herum. Claire wirkte schuldbewusst, die andere nicht.
»Valeria, was um Himmels willen …«
Claire sprang auf. Blut schoss ihr ins Gesicht. Während Carl-Theodor sie fassungslos anstarrte, begann sie zu stammeln: »Vater, es tut mir so leid, dass ich dich hintergangen habe, aber … aber ich konnte es dir doch nicht sagen.«
Carl-Theodor achtete nicht auf sie, sondern wandte sich mit strenger Miene an seine Nichte. »Was hast du hier verloren?«
Anders als Claire war Valeria nicht erschrocken. Ruhig hielt sie seinem Blick stand. »Keine Angst, ich habe für die Passage bezahlt«, erklärte sie trotzig.
»Aber wie bist du aufs Schiff gekommen,
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