Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
verwandelten sich ihre Beine in Pudding, begannen Herz und Puls zu rasen, als habe sie einen Marathonlauf hinter sich. Sie fing heftig an zu frieren, wußte aber, daß das Frieren von innen kam, daß nichts auf der Welt sie würde wärmen können. Ihre Zähne schlugen kaum hörbar aufeinander. Sie wußte um ihre aschfahle Gesichtsfarbe in solchen Momenten. Sie mußte aussehen wie ein Gespenst.
Neben den körperlichen Symptomen, dem Zittern, Schwitzen und gleichzeitigen Frieren, breitete sich die Angst in ihrem Innern aus, mit der Geschwindigkeit eines Feuers in einem ausgedörrten Wald. Fast meinte sie Michael zu hören, seine genervte, ärgerliche Stimme.
»Was denn für eine Angst, Herrgott noch mal?« Das fragte er immer wieder, und offensichtlich gelang es ihr nie, ihm eine zufriedenstellende Antwort zu geben.
»Es ist nicht einfach Angst. Das Wort ist zu schwach. Es ist Panik! Aber eine unbestimmbare Panik. Ein Gefühl von Entsetzen. Von Qual. Von Ausweglosigkeit. Eine namenlose Angst, der man nichts entgegensetzen kann, weil man nicht weiß, woher sie kommt.«
»Es gibt keine namenlose Angst . Keine unbestimmbare Panik! Man muß doch wissen, wovor man Angst und Panik hat! «
»Vor allem. Vor dem Leben. Vor den Menschen. Vor der Zukunft. Alles erscheint dunkel, bedrohlich. Es ist...«
Jedesmal waren ihre Schilderungen in Hilflosigkeit erstorben. »Michael, ich weiß es einfach nicht. Es ist schrecklich. Und ich bin völlig wehrlos.«
»Unsinn. Man ist nie völlig wehrlos. Das ist nur eine Frage des Willens. Aber du hast dich ja schon vor sehr langer Zeit auf den bequemen Standpunkt zurückgezogen, eben keinen Willen zu haben. Damit kannst du getrost die Arme hängenlassen und von einer Panik zur nächsten taumeln.«
Sie hörte seine Stimme gnadenlos auf sich einhämmern, während das Flugzeug zur Startbahn rollte und sie vergeblich versuchte, ihr Zittern und die innere Qual auf irgendeine Weise unter Kontrolle zu bringen.
Die Tablette... Sie wußte, innerhalb einer knappen Minute würde sie sich beruhigen, wenn sie sie schluckte. Aber dann war sie weg. Ihre Wirkung hielt fünf bis sechs Stunden an, höchstens. Und sie konnte Guernsey erst übermorgen wieder verlassen.
»Geht es Ihnen nicht gut?«
Sie vernahm die Stimme ihrer Nachbarin wie durch einen Nebel. Verschwommen sah sie das freundliche Gesicht einer alten Dame. Weiße Haare, gütige Augen.
»Sie haben graue Lippen und zittern wie Espenlaub. Soll ich die Stewardeß rufen?«
»Nein, vielen Dank.« Jetzt nur kein Aufsehen erregen. Sie wußte aus Erfahrung, daß dies die Situation verschärfen würde. »Ich habe hier eine Tablette... Wenn ich die schlucke, geht es mir sofort besser.«
»Haben Sie Flugangst? «
»Nein ... ich bin ... ich habe eine verschleppte Erkältung ... « Das klang sicherlich völlig unglaubhaft, aber ihr fiel in diesem Moment nichts anderes ein. Sie brauchte drei Anläufe, um die Tablette aus dem Zellophan zu drücken. Ihre Finger bebten, als sie sie in den Mund steckte. Sie bekam sie leicht ohne Wasser hinunter, das hatte sie in den vergangenen Jahren, in denen sie die Tabletten in den unmöglichsten Momenten hatte schlucken müssen, nur zu gut gelernt.
»Ich hatte schreckliche Flugangst früher«, sagte die alte Dame, die Erklärung mit der verschleppten Erkältung ignorierend. »Zeitweise bin ich in keine Maschine mehr gestiegen. Aber dann habe ich mir gesagt, daß ich es irgendwie bekämpfen muß. Meine Tochter ist auf Guernsey verheiratet. Und schließlich will ich sie und die Enkel ab und zu sehen. Mit dem Auto ist das eine sehr weite
Strecke, und mit der Bahn... ach, du lieber Gott! Sie winkte ab. »Da habe ich mir das Fliegen richtig antrainiert. Und inzwischen macht es mir überhaupt keine Probleme mehr.« Sie lächelte. »Sie werden das auch in den Griff bekommen.«
Franca schloß die Augen. Die Tablette begann bereits zu wirken. Das Zittern verebbte. Sie hörte auf zu frieren. Der Schweiß trocknete auf ihrer Haut. Die Panik versickerte langsam. Sie atmete tief durch.
»Sie bekommen wieder etwas Farbe auf den Wangen«, stellte ihre Nachbarin fest. »Diese Tabletten scheinen phantastisch zu wirken. Was ist das eigentlich?« «
»Ein Baldrianpräparat.« Franca ließ die Schachtel eilig in ihrer Handtasche verschwinden. Ihr Körper entspannte sich. Sie lehnte den Kopf an die Lehne.
Sechs Stunden. Sechs Stunden, wenn sie optimistisch dachte, und Optimismus fiel ihr in dieser Phase, kurz nach der Einnahme,
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