Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
über Ihr Volk sprechen. Ich meine die Nazis. Die Nazis konnten ungeheuer sentimental sein. Ständig kamen ihnen die Tränen, wenn es um ihr eigenes schweres Schicksal ging. Vielleicht glaubte ich deshalb nie etwas von dem, was Erich sagte. Und nach jener Silvesternacht wurde ich ja sofort krank, und ich kam gar nicht mehr dazu, mir Gedanken zu machen. Ich fürchte allerdings, ich hätte sie mir auch andernfalls nicht gemacht. Ich hielt das alles einfach für sein übliches gefühlstriefendes Gerede, zu dem er manchmal neigte.«
»Wie war er in den Tagen, bevor er sich erschoß?« fragte Franca. »War ihm etwas anzumerken?«
Beatrice schüttelte den Kopf. »Er war übernervös. Aber das waren alle, Deutsche wie Engländer, und die Deutschen wohl noch mehr. Es herrschte eine kaum beschreibbare Spannung auf der Insel. Jeder hing von morgens bis abends nur am Radioapparat. Niemand wußte, was kommen würde. Vor allem die Offiziere vibrierten. Sie bekamen seit Wochen keine Befehle. Sie hungerten und waren völlig kaltgestellt. Ich denke, auch ihre Rolle war ihnen nicht mehr klar. Sie hielten eine Inselgruppe vor der französischen Küste besetzt, befanden sich aber aufgrund ihrer Nationalität bereits im Zustand der katastrophalen Niederlage. Ihr Besatzerdasein war eine Farce, von der sie nicht wußten, ob und wie sie sie beenden sollten. Ihr Schicksal als Kriegsgefangene stand ihnen klar vor Augen. Hunderte von Häftlingen waren an Hunger und Mißhandlungen auf den Inseln gestorben. Es hatte Standgerichtsverfahren und Hinrichtungen gegeben. Sie konnten nicht darauf hoffen, mit Samthandschuhen angefaßt zu werden.«
»Es gab aber doch«, sagte Franca, »freundschaftliche Beziehungen zu den Inselbewohnern.«
»Freundschaft ist vielleicht zuviel gesagt. Aber es gab eine ganze Menge fester Verhältnisse zwischen deutschen Soldaten und englischen Mädchen. Und man hatte seit dem Sommer ’44 eine harte Zeit gemeinsam hinter sich gebracht. Echten Haß auf die Besatzer gab es fast nirgends.«
»Dann hatte Erich nicht soviel zu befürchten«, meinte Franca, »es war offenbar anders als bei den Deutschen beispielsweise in der Tschechoslowakei. Die mußten mit einem Aufstand rechnen, mit blutiger Rache, und genau das passierte dann ja auch. Aber hier... «
»Ich denke«, sagte Beatrice, »daß Erich einfach mit dem Gefühl der Niederlage nicht zurechtkam. Er war gescheitert. Die Idee, an die er geglaubt, der er sich verschrieben hatte, war nichtig geworden. Damit konnte er sich nicht abfinden. Die Schande, die Schmach, verstehen Sie? Davor lief er davon, und es schien sich für ihn kein anderer Ausweg aufzutun als der Tod.« Sie schaute über das Wasser, ihr Blick schien irgend etwas am Horizont zu suchen, aber Franca wußte, daß ihre Gedanken zu jenem Maitag des Jahres 1945 zurückgekehrt waren, daß sie die Bilder von einst sah.
»Wir konnten ihn nicht retten. Wir bekamen, wie gesagt, keinen Arzt. Wyatt war irgendwo auf der Insel, seine Frau hatte keine Ahnung, wo. Ich rannte nach St. Martin, aber weder ein deutscher noch ein englischer Arzt waren aufzutreiben. Später stellte sich heraus, daß die meisten in den Kriegsgefangenenlagern waren. Die Deutschen waren in Panik wegen des schlechten Zustands der Häftlinge, und sie versuchten, in letzter Sekunde mit Hilfe der Ärzte noch eine Besserung herbeizuführen. In den meisten Fällen dürfte kaum etwas zu machen gewesen sein — zumal die Ärzte praktisch kaum noch Medikamente, kein Verbandsmaterial hatten. Na ja«, sie richtete ihren Blick wieder auf Franca und in die Gegenwart, »es gelang uns jedenfalls nicht, jemanden zu finden, der ihm helfen konnte. Er starb, und wir mußten zusehen. Vielleicht war es das Beste. Es war jedenfalls das, was er gewollt hatte.«
Franca musterte sie aufmerksam. »Haben Sie um ihn getrauert, Beatrice?«
Beatrice lachte, kramte eine zerdrückte Zigarette und ein Feuerzeug aus ihrer Jeanstasche, zündete die Zigarette an. Der Seewind zerrte an der kleinen Flamme, erst der fünfte Versuch gelang. »Um Erich getrauert? Zuerst dachte ich: Er ist tot, und es ist gut. Ich hatte keine innere Bindung an ihn. Er war ein Nazi, er war ein Feind. Er hatte Julien verfolgt, er hatte unsere Liebe zerstört. Nein, ich trauerte nicht. Damals nicht, und später nicht.« Sie strich sich die Haare aus der Stirn. »Aber irgendwann wurde mir klar, daß auch ich ein Verlierer war im Spiel mit dem Tod. Vielleicht war ich der größte Verlierer
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