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Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Titel: Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Entsetzen auf einer Bahre in ihr Zimmer getragen wurde.
    »Sie braucht noch sehr viel Schonung«, sagte der Arzt ernst. »Sie ist in einem wirklich schlechten Zustand. Mindestens für die nächsten vier Wochen sollte sie nicht zur Schule gehen.«
    Es wurden acht Wochen daraus. Ihr Zustand wollte sich nicht bessern. Die Beine knickten unter ihr weg, wenn sie nur einen Schritt tun wollte. Die Tränen schossen ihr in die Augen, sobald man sie ansprach.
    »Das ist die Schwäche«, sagte Dr. Wyatt jedesmal, wenn er kam, um nach ihr zu sehen, » du weinst aus Schwäche, Kind. Deine Nerven funktionieren nicht mehr. Du bräuchtest endlich einmal etwas Anständiges zu essen.«
    Die Hungersnot war inzwischen dramatisch geworden auf den Inseln; auch für die Familie eines deutschen Offiziers gab es kaum noch Zuteilungen. Helene sammelte Sauerampfer und Löwenzahn und versuchte daraus Gemüse zuzubereiten; ab und zu gab es eine Graupensuppe, die vorwiegend aus Wasser bestand, und an Festtagen aßen sie etwas hartes Graubrot, dessen einziger Vorteil darin bestand, daß es noch Wochen später wie ein Stein im Magen lag und ein — wenn auch trügerisches — Gefühl von Sättigung vermittelte.
    Ab Anfang April brannte die Sonne Tag für Tag von einem blauen Himmel; Beatrice saß stundenlang im Garten, und ganz langsam kehrten ihre Lebensgeister zurück. Die Sonnenstrahlen gaben ihr die Energie, die sie sich aus der Nahrung nicht mehr hatte holen können. Allmählich wich ihre geisterhafte Blässe einer zartbraunen Tönung, ihre eingefallenen Wangen nahmen Farbe an. Irgendwann konnte sie zum erstenmal einen Spaziergang ans Meer machen; sie stand lange am Strand, atmete die klare, salzige Luft, beobachtete die Sonne, die auf den Wellen flimmerte und glitzerte, und spürte, wie die Kräfte in sie zurückfluteten und das Leben wieder die Oberhand gewann. Sie spürte bohrenden Hunger, wie immer, aber zugleich war da wieder das optimistische Gefühl,
daß sie alles überstehen würde und daß auch noch Gutes für sie bereitstand. Und bald würde der Krieg vorbei sein.
    Deutschland brach zusammen in diesen Apriltagen des Jahres 1945. Die Russen hatten Ostpreußen und Schlesien eingenommen, hatten Polen befreit und standen vor Berlin. Von Westen her marschierten Amerikaner, Engländer und Franzosen immer weiter in Deutschland ein, besetzten Stadt um Stadt, Landstrich um Landstrich. Die meisten Städte lagen in Trümmern, die Bevölkerung ergab sich rasch, ohne auf die unaufhaltsam ausgegebenen Durchhalteparolen der Reichsführung zu achten. Es konnte sich, so die einhellige Meinung, nur noch um Wochen handeln, bis Hitler selbst kapitulieren mußte.
    Es ist vorbei, dachte Beatrice, es ist praktisch schon vorbei.
    Am 30. April schoß sich Adolf Hitler im Keller der Reichskanzlei in Berlin eine Kugel in den Kopf.
    Am 2. Mai wurde Berlin von den Russen eingenommen.
    Am 7. Mai kapitulierte Deutschland bedingungslos.

5
    »Ja«, sagte Beatrice, »so war es. Eigentlich war der Krieg vorbei. Nur wir hockten immer noch mit unseren Besatzern hier und fragten uns, was werden würde. Der Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte auf den Inseln erklärte am 9. Mai die Kapitulation. Und dann waren auch sofort unsere Leute da, englische Soldaten. Bis Mitte Mai hatten alle Deutschen als Kriegsgefangene Guernsey und die anderen Inseln verlassen. Es war tatsächlich vorbei.«
    Sie saßen noch immer auf den Felsen am Meer. Der Wind hatte inzwischen auch die letzten Wolken vom Himmel gefegt, und die Sonne hatte erstaunlich an Kraft gewonnen. Franca hatte sich so gedreht, daß die Strahlen sie nicht mehr ins Gesicht trafen; ihre Haut war sehr empfindlich und noch blaß vom Winter, und sie hatte Angst, einen Sonnenbrand zu bekommen.
    »Aber davor«, sagte sie, »vor dem 9. Mai, vor der Kapitulation, erschoß sich Erich.«

    »Ja«, bestätigte Beatrice, »noch vor der Kapitulation erschoß er sich. Am I. Mai vor fünfundfünfzig Jahren.«
    »Warum tat er das?«
    »Ich weiß es nicht. Fürchtete er sich wirklich so sehr vor der Rache der Sieger? Ich mußte später noch oft an unser Gespräch in der Silvesternacht denken. Damals hatte er seine Angst artikuliert, aber ich nahm ihn nicht richtig ernst. Er hatte getrunken, er hatte Tabletten geschluckt, und seine Reden waren geprägt von jener Sentimentalität, die bei den Deutschen...« Sie unterbrach sich, lachte. »Entschuldigen Sie, Franca. Sie sind auch Deutsche. Ich wollte nicht verallgemeinernd schlecht

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