Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
wirkte konzentriert und souverän. Vielleicht entdeckt ihn jemand, dachte Beatrice, ich würde mich freuen für ihn.
Sie bemühte sich, nicht allzu genau auf die Melodien zu lauschen. Die Musik wühlte sie auf, machte ihr ihre Einsamkeit bewußt, erinnerte sie an die Traurigkeit, die in ihr lag. Unter all den vielen Menschen fühlte sie sich weit mehr allein, als würde sie tatsächlich ganz für sich in ihrem Zimmer kauern. Niemand von ihnen hatte etwas mir ihr zu tun. Niemand kannte sie, niemand teilte etwas aus ihrem Leben. Sie stand draußen, und nicht eine Tür öffnete sich ihr.
Mrs. Chandler verkündete eine kurze Pause, doch fast niemand erhob sich, da jeder Angst hatte, seinen Sitzplatz nicht wiederzubekommen. Auch Beatrice blieb, wo sie war; sie hatte sowieso keine Ahnung, wohin sie gehen sollte.
Der Herr, der neben ihr saß und den sie bislang kaum zur Kenntnis genommen hatte, neigte sich zu ihr.
»Ein begabter junger Künstler«, sagte er, »finden Sie nicht auch?«
Sie nickte. »Er ist zweifellos sehr talentiert. Damit bekommt dieser Abend immerhin noch einen Sinn.«
Er lächelte. »Sie sind nicht gern hier?«
»Ich weiß nicht genau«, sagte Beatrice. Sie war Mrs. Chandlers Gast und wollte nicht über die Party herziehen. »Ich fürchte, ich passe nicht so recht hierher«, meinte sie schließlich, »ich kenne hier niemanden. Mrs. Chandler hat es gut gemeint, mich einzuladen, aber ... « Sie ließ den Satz unvollendet. Vielleicht verstand ihr Nachbar dennoch, was sie meinte.
Er streckte ihr die Hand hin. »Ich heiße Frederic Shaye. Nun kennen Sie jemanden hier. Sie kennen mich.«
Beatrice mußte lachen. »Damit bin ich immerhin schon ein ganzes Stück weiter. Ich heiße Beatrice Stewart. Ich unterrichte Mrs. Chandler in Französisch.«
»Sie sind Lehrerin?«
»Eigentlich nicht. Ich habe Romanistik und Anglistik studiert, und im Moment finde ich keine Arbeit. Ich halte mich mit Unterrichten über Wasser.«
Es schien ihr, als lese sie Bewunderung in seinen Augen. »Romanistik? Lieben Sie Frankreich?«
»Ich bin nie dort gewesen«, bekannte Beatrice, »aber ich liebe
die Sprache. Und die Literatur. Ich habe sehr nahe bei Frankreich gelebt, auf Guernsey. Die Menschen dort sind halbe Franzosen.«
»Wie faszinierend«, sagte Frederic Shaye. Sein Ausdruck verriet ehrliches Interesse. »Guernsey. Haben Sie die deutsche Besatzung erlebt?«
»Ja«, sagte Beatrice, »das habe ich. Aber ich möchte nicht davon sprechen.«
Er nickte. »Natürlich. Entschuldigen Sie, wenn ich an eine Wunde gerührt habe.«
»Das konnten Sie nicht wissen.«
»Trotzdem. Ich entschuldige mich.«
»Sie müssen sich wirklich nicht entschuldigen.«
Frederic Shaye lachte. »Das kann jetzt ewig hin- und hergehen.«
Auch Beatrice lachte. »Dann lassen wir es einfach«, sagte sie.
Frederic Shaye war mit dem Auto da, und er ließ sich nicht davon abbringen, Beatrice nach Hause zu fahren, nachdem er gehört hatte, welch umständlichen Weg sie nehmen mußte.
»Das kommt nicht in Frage«, sagte er, »es ist nach Mitternacht. Wahrscheinlich geht überhaupt kein Bus mehr. Ich lasse Sie auf keinen Fall jetzt allein da hinaus in die Dunkelheit.«
Sie standen in der Eingangshalle und warteten, daß das Hausmädchen ihre Mäntel brachte.
»Wie schade, daß Sie schon fort müssen!« rief Mrs. Chandler. »Wollen Sie nicht noch ein wenig bleiben? Es wird doch jetzt erst richtig gemütlich!«
»Nein, vielen Dank«, sagten Beatrice und Frederic wie aus einem Mund. Sie hatten einander inzwischen gestanden, daß sie sich fortsehnten von dem Fest, und Frederic hatte gemeint, nachdem Mitternacht überschritten sei, könne es keineswegs zu früh sein.
Er steuerte den Wagen selbst. Der Regen war in Schneegraupel übergegangen, aber wenigstens hatte sich der Nebel gelichtet, und man konnte einigermaßen deutlich die Straße sehen. Frederic fuhr konzentriert, ein wenig angespannt.
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich, »meine Augen funktionieren nicht so gut bei Nacht.«
Sie wußte inzwischen, daß er Professor in Cambridge war und als Schüler mit Mrs. Chandler in demselben Internat gewesen war; daher hatte er an diesem Abend zu den Gästen gezählt. Er lebte für ein Jahr in London, da er für eine Forschungsreihe in einem Labor von der Universität freigestellt war. Frederic Shaye war Biologe. Beatrice fand es faszinierend, ihn von seiner Arbeit erzählen zu hören. Während sie im Auto saßen und durch die dunklen
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