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Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Titel: Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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überschwengliche Gefühle, brachte damit zum Ausdruck, wie beliebt man selbst war und wie viele enge Freunde man hatte. Beatrice kam das alles ziemlich unecht vor, aber außer ihr schien das niemanden zu stören. Sie fühlte sich elend und allein. Ziellos wanderte sie mit einem Weinglas in der Hand durch die Räume, tat so, als betrachte sie angelegentlich die Bücher in den Regalen und die Bilder an den Wänden, aber in Wahrheit nahm sie nichts von all dem wahr und sehnte sich nur nach ihrer engen, häßlichen Wohnung, in der es still war und sie eine Tür hinter sich schließen und allein sein konnte.
    Nach einer endlosen Zeit bat Mrs. Chandler dann zum Essen; endlos deshalb, weil Beatrice wußte, sie konnte unmöglich vor dem Essen verschwinden, und je länger sich der Beginn verzögerte, desto später würde sie sich verabschieden können. Es waren mehrere runde Tische für jeweils acht Personen gedeckt und über das ganze Erdgeschoß verteilt. Es gab keine Sitzordnung, und Beatrice versuchte vergeblich, an fünf Tischen nacheinander unterzukommen; jedesmal wurde ihr bedeutet, hier werde für andere Gäste freigehalten, und sie möge sich etwas anderes suchen. Ihr brach schon der Schweiß aus, weil sie sich als übriggebliebene Person irgendwo mitten im Raum stehen sah, schonungslos den Blicken der anderen ausgesetzt, aber schließlich ergatterte sie einen Stuhl an einem Tisch im Wintergarten. Der Zweig eines undefinierbaren Gewächses hing ihr in die Haare, wann immer sie sich zurücklehnte, und alle anderen Gäste an diesem Tisch waren zwischen siebzig und neunzig Jahre alt. Man unterhielt sich über den Krieg. Eine Dame, die ihren Sohn in Dünkirchen verloren hatte, brach in Tränen aus, als ein Herr in glühenden Worten von der großartigen Evakuierungsaktion der Soldaten sprach. Er war schwerhörig und begriff eine ganze Weile lang nicht, daß er neben einem Menschen saß, für den Dünkirchen nicht glorreich verlaufen war. Erst als die Dame ihren Stuhl zurückstieß, aufsprang und aus dem Raum lief, ging ihm auf, daß irgend etwas nicht stimmte.
    »Habe ich etwas Falsches gesagt?« erkundigte er sich pikiert.
    Niemand fühlte sich bemüßigt, ihn aufzuklären. Alle kratzten auf ihren Tellern herum und taten so, als sei nichts geschehen. Beatrice fand sich resigniert damit ab, daß der Abend noch einige
Zeit dauern würde, daß sie aushalten mußte und daß sie alles irgendwie überstehen würde. Sie war offensichtlich die einzige am Tisch, und womöglich auf dem ganzen Fest, die unter deutscher Besatzung gelebt hatte, und ihr war klar, daß sie mit einem Schlag eine Menge Zuhörer gehabt hätte, wenn sie begonnen hätte zu erzählen. Aber sie mochte nicht. Sie konnte nicht.
    Eigentlich habe ich noch nie jemandem davon erzählt, dachte sie, auch Mrs. Chandler weiß nicht, daß ich von Guernsey komme.
    Um elf Uhr waren alle Gänge serviert und verspeist, und Beatrice bat Mrs. Chandler, sie nun zu entschuldigen, da sie einen so weiten Heimweg habe. Mrs. Chandler wollte davon nichts wissen.
    »Jetzt kommt der Pianist! Das ist der Höhepunkt des Abends! Auf keinen Fall lasse ich Sie jetzt schon gehen!«
    Sie müssen ja auch nicht noch drei Meilen durch die Nacht wandern, bis Sie eine Bahnstation erreichen, dachte Beatrice verärgert, und dann hoffen, daß überhaupt noch ein Zug geht!
    Der Pianist war ein pickliger junger Mann mit langem, dünnem Hals. Er trug einen Anzug, der ihm zu breit in den Schultern war, und knetete die Hände nervös ineinander. Der Flügel stand im Wohnzimmer. Dienstbare Geister hatten während des Essens Stuhlreihen aufgebaut, aber es war natürlich zu wenig Platz da für alle, und viele mußten in der Tür und noch draußen in der Halle stehen.
    Mrs. Chandler flatterte umher und verkündete, ein »bemerkenswertes junges Talent« für den Abend engagiert zu haben. Es klang, als habe sie den jungen Mann entdeckt und gefördert, und vielleicht, dachte Beatrice, war das ja auch der Fall.
    Sie war müde und frustriert. Sie hatte einen Sitzplatz ergattert, und es war ihr egal, daß sie zu den Jüngsten gehörte und daß möglicherweise ein paar von den alten Knackern, die an ihrem Tisch gesessen hatten, stehen mußten. Sie wollte nicht höflich sein. Sie wollte, daß die Zeit vorüberging.
    Der junge Pianist spielte einige Stücke von Chopin, wechselte dann zu Händel. Soweit Beatrice das beurteilen konnte, machte er seine Sache tatsächlich sehr gut. Seine Nervosität verlor sich, er

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