Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Straßen von London fuhren, musterte sie ihn einige Male verstohlen von der Seite. Er hatte dunkle Haare und sehr helle Augen, und sein schmales Gesicht war von einer fast durchscheinenden Blässe. Sie mochte sein klares Profil und die Feinheit seiner Hände, die das Steuer ein wenig zu fest umklammert hielten. Zum erstenmal seit langer Zeit — zum erstenmal seit Julien — nahm sie einen Mann wieder als Mann wahr. Das erstaunte und verunsicherte sie ein wenig. Es paßte nicht zu ihrer Stimmung von Trauer und Bitterkeit. Sie wußte nicht, ob sie wollte, daß der Panzer, der sie umschloß, aufgebrochen wurde.
Als sie endlich bei ihr daheim ankamen, blieb der Schnee schon als dünne Schicht am Straßenrand und auf den Hausdächern liegen. Frederic Shaye begleitete Beatrice noch bis zur Tür.
»Ich fände es schön, wenn wir uns einmal wiedersehen könnten«, sagte er zum Abschied. »Kann man Sie anrufen?«
»Ich habe leider kein Telefon«, antwortete Beatrice.
Frederic überlegte. »Wann sind Sie immer bei den Chandlers? Dann werde ich versuchen, Sie dort zu erreichen.«
Sie nannte ihm die Termine, und er sagte, er werde sie auf jeden Fall im Kopf behalten. Doch als sie sich verabschiedeten, dachte Beatrice: Nein. Eigentlich möchte ich ihn nicht mehr sehen. Eigentlich möchte ich mich nicht in irgend etwas verstricken.
Frederic Shaye ließ nicht locker. Er rief jedesmal an, wenn Beatrice bei den Chandlers war, und versuchte, sie zum Essen einzuladen. Beatrice sagte ebensooft, daß sie keine Zeit habe, blockte auch jeden anderen Versuch von seiner Seite, sie zu treffen, sofort ab. Mrs. Chandler bekam natürlich mit, daß sich etwas zwischen den beiden anzubahnen begann, und bestürmte Beatrice, endlich ihre Zurückhaltung aufzugeben.
»Frederic ist ein reizender Mann«, versicherte sie immer wieder. »Natürlich erscheint er auf den ersten Blick ein wenig weltfremd und in sich gekehrt, aber er ist interessant und intelligent. Sie sollten sich mit ihm treffen. «
»Ich habe anderes zu tun«, sagte Beatrice abweisend.
Mrs. Chandler gab einen prustenden Laut von sich. »Also, so viel haben Sie nun nicht zu tun, liebes Kind. Das ist doch gerade das Problem. Sie finden keine Anstellung. Die Zeit, die Ihnen dadurch geschenkt wird, könnten Sie guten Gewissens auf Frederic Shaye verwenden.«
Sie ließ den Dezember verstreichen. Am frühen Morgen des 24. Dezember fuhr sie mit dem Schiff nach Guernsey, widerwillig, denn eigentlich wäre sie lieber in London geblieben und hätte sich in ihrer Wohnung und in ihrer Trostlosigkeit verbarrikadiert. Aber Helene hatte sie mit Briefen bestürmt, sie müsse kommen, und zähneknirschend hatte sie schließlich beschlossen, diesem Drängen nachzugeben. Sie hatte Helene fast ein Jahr nicht gesehen und fürchtete, sie würde irgendwann bei ihr vor der Tür auftauchen, wenn sie einen Besuch noch länger vor sich herschob.
Es herrschten Sturm und Kälte, und die Überfahrt war eine einzige Katastrophe. Unter Deck wurde es Beatrice so schlecht, daß sie meinte, sterben zu müssen, und so kletterte sie schließlich trotz des furchtbaren Wetters hinauf, kreideweiß im Gesicht, eine Hand auf den Magen gepreßt. Sie hatte gehofft, die frische Luft werde ihr guttun, aber am Ende hing sie über der Reling und übergab sich, und als sie in St. Peter Port ankam, hatte sie butterweiche Knie und zitterte wie Espenlaub. Helene erwartete sie mit dem Auto. Sie sah elegant und ausgeruht aus und hatte gerötete Wangen von der Kälte.
»Gott, was ist denn mit dir los?« waren ihre ersten Worte. »Du bist weiß wie eine Wand und viel zu dünn! London scheint dir überhaupt nicht zu bekommen. Du ißt und schläfst offensichtlich zu wenig! «
»Unsinn«, sagte Beatrice ärgerlich. Sie fühlte sich entsetzlich elend, aber ganz langsam fing ihr Magen an, sich zu beruhigen. »Ich bin seekrank geworden, das ist alles. So eine Überfahrt im Winter hat ihren ganz eigenen Reiz, das kannst du mir glauben!«
»Ich kann nichts dafür, daß es so gestürmt hat«, jammerte Helene, eingeschüchtert und bereits etwas weinerlich, «ich kann doch ...«
»Du hast mich mehr oder weniger gezwungen, hierherzukommen«, sagte Beatrice und verfrachtete ihren Koffer mit wütendem Schwung auf den Rücksitz des Autos. »Ich wäre sonst in London geblieben und hätte keine Probleme gehabt.«
Helenes Augen glänzten feucht. »Hättest du es wirklich fertiggebracht, Weihnachten ohne mich zu feiern?«
»Helene, bitte,
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