Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Pierre, was sie meinte: die Waffe des noch immer bewußtlosen Wachmanns. Er drehte sich um.
Erich schoß erneut. Wieder traf er Pierre am Bein, und der Schuß riß den Franzosen, der gerade die Pistole aus dem Gurt hatte ziehen wollen, herum, warf ihn zu Boden.
Erich kam noch zwei Schritte näher.
Er genießt es, dachte Beatrice, die seinen Gesichtsausdruck beobachtete, er genießt es wie ein spannendes Spiel.
Er wartete. Er wartete, bis Pierre, grau vor Schmerz, sich wieder aufgerappelt und umgedreht hatte, bis er ein zweites Mal nach der Pistole griff, die sich direkt vor ihm befand. Er wartete sogar, bis Pierre die Waffe gezogen und entsichert hatte, bis er sich wieder umdrehte und den Lauf auf ihn richtete.
Sie schossen beide gleichzeitig.
Diesmal verfehlte Erich sein Ziel, die Kugel schlug weit entfernt von Pierre in den Boden.
Im selben Moment jedoch fiel Erich wie ein gefällter Baum. Er lag auf der Erde und rührte sich nicht mehr.
Kein Laut durchdrang die Stille. Selbst die Vögel, verschreckt durch die Schüsse, waren verstummt. Es herrschte eine unwirkliche Stille, so als habe die ganze Welt aufgehört zu atmen. Die Sonne strahlte herab auf eine gespenstische Szenerie. auf drei Männer, die im Gras lagen, auf zwei Frauen, die dastanden und offensichtlich nicht begreifen konnten, was geschehen war, auf zwei Pistolen, die zu Boden gefallen waren und wie Requisiten erschienen, die jemand nach sehr genauen Vorstellungen genau dort plaziert hatte, wo sie nun lagen.
Ein Bühnenbild, Höhepunkt eines dramatischen Schauspiels. Und für den Moment wußte keiner der Akteure, wie es weitergehen sollte. Die Regie hatte vergessen, weitere Anweisungen zu geben. Sie verharrten und rührten sich nicht.
3
»Pierre«, sagte Franca, »hat also auf Erich geschossen! Er war es nicht selbst.«
»Er war es nicht selbst«, bestätigte Beatrice. Überall im Restaurantgarten brannten jetzt Lampen. In deren schönem, warmen Licht sah Beatrice nicht mehr so elend aus wie zu Beginn des Abends, aber in ihren Augen standen noch immer Traurigkeit und tiefer Schmerz. »Pierre hatte in Notwehr gehandelt, aber das hätte ihm nichts genützt. Er wäre standesrechtlich erschossen worden, hätte jemand von den Besatzern Wind davon gekriegt. Wir mußten zusehen, die Situation schnell in den Griff zu bekommen.«
»Erich war tot?«
Beatrice schüttelte den Kopf. »Nein. Dieser Teil der Geschichte stimmt. Erich war nicht tot, aber es war klar, daß er ohne ärztliche Hilfe keine Chance haben würde. Der Schuß hatte ihn oberhalb des Herzens getroffen.«
»Der Wachmann...«
»... hatte Gott sei Dank von alledem nichts mitbekommen. Sonst wären wir erledigt gewesen.«
»Was taten Sie? Wie bewältigten Sie die Situation?«
»Pierre verlor sehr viel Blut«, sagte Beatrice, »und ich sagte, daß wir sofort einen Arzt holen müßten. Pierre geriet in Panik; wir hatten uns ja noch keine Gedanken zum Tathergang zurechtgelegt, und er fürchtete um sein Leben, wenn ein Arzt auftauchte, dem man ja irgend etwas würde erzählen müssen. Helene und ich schleppten ihn in die Küche, und während Helene das Bein oberhalb der zwei Wunden abband, um die Blutung zu verlangsamen, lief ich wieder hinaus, um nach Erich zu sehen. Er stöhnte leise, war aber nicht richtig bei Bewußtsein. Der Wachmann rührte sich noch immer nicht, aber es war klar, daß er irgendwann wieder zu sich kommen würde, und bis dahin mußte uns etwas eingefallen sein. Ich lief wieder ins Haus und sagte Helene, sie müsse mir helfen, Erich hereinzubringen. Ihn zu transportieren erwies sich als schwieriger; Pierre hatte mithumpeln können, aber Erich hing mit seinem ganzen Gewicht bewegungslos auf unseren Schultern. Zum Glück wog er nicht mehr allzuviel, dafür hungerten wir schon zu lange. Ich weiß nicht mehr, wie wir es schafften, aber irgendwann hatten wir ihn im Eßzimmer. Er lag dort auf dem Teppich und sah aus, als sei er bereits tot. Er verlor auch Blut, aber nicht soviel wie Pierre, der dramatisch blutete, trotz seines abgebundenen Oberschenkels. Helene und ich diskutierten noch, was am besten zu tun sei, da sah ich zufällig den Wachmann durch den Garten auf das Haus zuwanken. Wenn er hereinkam und das Lazarett sah, das wir dort inzwischen unterhielten, würde er Zeter und Mordio schreien, also mußte ich ihn draußen abfangen. Ich lief hinaus. «
»War nicht Blut im Garten?« fragte Franca. »Sie hatten Pierre schließlich über die Wiese geschleift und...
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