Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
an diesem Tag noch nichts gegessen. Er sah fahl aus im Gesicht, aber da niemand mit rosigen Wangen umherlief, fiel das nicht weiter auf. Im Grunde achtete keiner auf ihn. Er hatte von mittags an aufgehört, Pierre zur Arbeit anzutreiben, und Beatrice dachte, daß es Mitgefühl war, was ihn sich menschlicher verhalten ließ, denn Pierre sah so schlecht aus und war so sichtlich am Ende seiner Kräfte, daß nur ein Unmensch ihn zu harter körperlicher Arbeit hätte zwingen können. Pierre kauerte im Schatten eines Apfelbaums, wischte sich ab und zu den Schweiß von der Stirn und hielt die Augen geschlossen. Sein Atem ging flach.
Der Wachmann stand auf - vielleicht wollte er sich etwas zu trinken holen -, wurde um eine Nuance bleicher und sank zu Boden. Er gab keinen Laut von sich, sein Sturz vollzog sich wie im Zeitlupentempo. Er blieb liegen und rührte sich nicht mehr.
Beatrice, die noch immer auf der Veranda saß und selbst gegen das Gefühl zunehmender Schwäche kämpfte, stand auf.
»Was hat er denn?« fragte sie.
Pierre erhob sich mühsam, trat an den Wachmann heran und kauerte neben ihm nieder. »Ein Schwächeanfall«, sagte er, »er ist bewußtlos.«
Beatrice starrte ihn an. Pierre lächelte müde. »Nein, Mademoiselle. Danke.« Er hatte ihr unausgesprochenes Angebot verstanden. »Ich laufe nicht weg. Ich weiß nicht, wohin, und ich bin zu schwach. Ich bleibe. Es wird ohnehin nicht mehr lange dauern.«
»Wir müssen ihn in den Schatten schaffen«, sagte Beatrice. Mit vereinten Kräften - und beide hatten sie davon nicht mehr viel - zogen und schoben sie den Ohnmächtigen unter den Apfelbaum, unter dem Pierre zuvor gesessen hatte. Beatrice brachte einen Krug kaltes Wasser. Sie benetzten seine Stirn und rieben seine Handgelenke ein.
»Ich glaube, wir müssen einen Arzt holen«, meinte Beatrice ängstlich. »Er wacht ja gar nicht mehr auf!«
In diesem Moment öffnete er die Augen, starrte Beatrice und Pierre ohne Begreifen an. Seine Lider flatterten.
»Was ist passiert?« fragte er.
Aber noch ehe Beatrice antworten konnte, verlor er mit einem leisen Seufzer erneut die Besinnung.
»Ich rufe Dr. Wyatt an«, sagte Beatrice entschlossen und sprang auf die Füße. Sie war zu schnell gewesen und taumelte. Ihr wurde schwarz vor Augen, eine Woge Schweiß überschwemmte ihren Körper. Haltsuchend griff sie nach dem Stamm des Apfelbaumes, hielt sich daran fest und wartete, daß der Schwindel vorüberging. Als sie die Augen wieder aufschlug und die Welt um sie herum aufhörte, sich zu drehen, sah sie Erich, der auf der Veranda aufgetaucht war. Er war bleich wie ein Geist. In der Hand hielt er seine Pistole. Hinter ihm stand, wie ein kleiner, schmaler Schatten, Helene, mit einem Gesicht, das wie in Angst erstarrt schien.
Die Dinge geschahen so schnell, daß Beatrice erst später ihren Ablauf wirklich begriff und sich klarzumachen vermochte, was genau sich ereignet hatte.
Erich kam die Stufen von der Veranda in den Garten herunter, er hielt seine Waffe auf Pierre gerichtet, der noch immer bewegungslos neben dem Wachmann im Gras kauerte.
»Du nicht«, sagte Erich, »du wirst mir nicht entkommen.«
Pierre machte so deutlich nicht den geringsten Versuch zu fliehen, daß Erichs kalte Wut und Entschlossenheit nur auf seinen Wahnvorstellungen und seiner Hysterie beruhen konnten.
Helene gab einen Schreckenslaut von sich, der wie das ängstliche Zwitschern eines Vogels klang und unbeachtet verhallte.
Beatrice dachte: Tu das nicht! Sie spürte die Tragödie, die ihren unaufhaltsamen Lauf nehmen würde, und brachte doch kein Wort heraus, konnte keine Bewegung machen, womit sie irgend etwas hätte verhindern können. Bis auf Erich waren alle erstarrt, unbeweglich, gebannt von dem Haß, der in Erichs Augen zu lesen war.
Erich schoß, verfehlte aber sein Ziel. Die Kugel schlug dicht neben Pierre in den Boden ein. Pierre rührte sich nicht.
»Lauf weg!« schrie Beatrice. »Lauf doch weg!«
Erich schoß noch einmal. Diesmal traf er Pierre ins Bein. Der junge Franzose schrie auf vor Schmerz, preßte die Hände auf die Wunde. Erich hatte ihn dicht unterhalb des Knies erwischt. Endlich kam Bewegung in ihn, er versuchte, durch das Gras davonzurobben, aber er hatte keine Chance, denn vor ihm lag nur weit und sonnenhell der Garten, und über viele Meter würde er eine perfekte Zielscheibe abgeben.
»Die Pistole!« schrie Beatrice. »Pierre, die Pistole! Schieß zurück! Schieß doch zurück!«
Trotz seiner Panik begriff
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