Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
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»Natürlich war Blut im Garten«, bestätigte Beatrice, »und jemand, der klareren Auges gewesen wäre, hätte das auch bemerkt. Aber dieser Mann war am Ende seiner Kräfte. Sein Kreislauf war kollabiert, und er stand dicht vor dem nächsten Zusammenbruch. Er taumelte. Er konnte sich nicht auf einer geraden
Linie vorwärtsbewegen. Wenn er Blut gesehen hätte, er hätte es für eine Halluzination gehalten.«
»War er nicht in Sorge, wo der Gefangene geblieben war?«
»Natürlich, aber zugleich kämpfte er ständig gegen die nächste drohende Ohnmacht. Es ging ihm wirklich äußerst schlecht. Zum Glück kam er nicht einmal die vier Stufen zur Veranda hinauf. Er sank auf die unterste Stufe, stützte den Kopf in die Hände und stöhnte. Ich sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen, Erich habe alles im Griff. Er werde jetzt gleich abgeholt und in seine Unterkunft zurückgebracht. Er solle einfach sitzen bleiben.« Beatrice schwieg einen Moment, während vor ihrem inneren Auge die Bilder jenes Tages wiedererstanden. »Ich hätte ihm wenigstens ein Glas Wasser bringen sollen«, fuhr sie fort, »aber ich hatte Angst, daß er, sollte er plötzlich wieder zu Kräften kommen, doch noch das Haus betreten würde. Pierre lag ja gleich in der Küche. Er wäre sofort über ihn gestolpert.«
»Wie ließen Sie ihn wegbringen?«
»Helene rief Will an und bat ihn zu kommen. Will war sofort da. Ich mußte blitzschnell die Entscheidung treffen, ob wir ihn einweihen sollten oder nicht. Ich wußte, daß es schwierig werden würde, ihm den Wachmann aufzuhalsen und ihn mit ihm wegzuschicken. Will würde wissen wollen, wo Pierre war, wer auf ihn aufpaßte, ob Erich Bescheid wußte. Er würde Erich sprechen wollen. Ich ging das Risiko ein. Ich schilderte Will, so schnell ich konnte, was geschehen war.«
Franca sah die alte Frau nachdenklich an. »Sie wuchsen sehr weit über das hinaus, was für gewöhnlich ein sechzehnjähriges Mädchen zu leisten in der Lage ist«, sagte sie.
»Die Situation erforderte es«, entgegnete Beatrice. »Ich konnte mich nicht hinsetzen und heulen. Und auf Helene konnte ich, wie üblich, nicht bauen. Sie hatte noch einigermaßen funktioniert, als sie mir half, die beiden Verletzten ins Haus zu schaffen, aber nun klappte sie zusammen. Sie wagte sich nicht ins Eßzimmer, wo Erich lag, und so hockte sie neben Pierre in der Küche, erneuerte ständig die ohnehin sinnlose Bandage an seinem Bein, starrte wie hypnotisiert auf die Blutlache um ihn herum und zitterte wie Espenlaub. Sie war am Ende ihrer Nervenkraft.«
»Ein bißchen«, sagte Franca, »kann ich das verstehen.«
»Ja, sicher. Nur damit blieb das Problem einzig an mir hängen. Ich mußte alles organisieren, und wenn ich einen Fehler gemacht hätte...« Sie schauderte. »Pierre wäre ein toter Mann gewesen. Obwohl der Krieg praktisch schon vorbei und längst entschieden war, fanden immer noch Erschießungen statt. Die Deutschen wüteten bis zum Schluß.«
»Wie nahm Will die Geschichte auf?«
»Ich hatte richtig kalkuliert. Will war kein Nazi. Im Grunde hatte er mir das bereits in der ersten Zeit der Besatzung mitgeteilt, in jenem Sommer und Herbst 1940, als wir zusammen auf seinem Dachboden saßen und er mir Deutsch beibrachte. Ich ging davon aus, daß ihm nicht daran gelegen war, Pierre ans Messer zu liefern. Ich sagte ihm, was passiert war, und daß wir nun versuchen würden, so rasch wie möglich einen Arzt aufzutreiben. ›Und was wollt ihr dem Arzt erzählen?‹ fragte er, und ich sagte, das würden wir uns noch überlegen. Es sei wichtig, erst einmal den Wachmann wegzubringen, und zwar solange dieser noch nicht wieder ganz klar denken konnte. Will spielte mit, und er nahm ein großes Risiko auf sich. Er hätte niemals auf Bitten eines sechzehnjährigen englischen Mädchens hin einen Wachmann mitnehmen dürfen, er hätte verlangen müssen, Erich zu sprechen. Aber ihm würde nicht die Todesstrafe drohen, das wußte er, und zudem konnte er hoffen, daß es wirklich mit den Nazis vorbei sein würde, bis man ihn eventuell zur Verantwortung ziehen konnte.«
»Dann waren Sie und Helene ganz allein mit Pierre und Erich? «
»Dann waren wir ganz allein. Ich versuchte, mit Helene einen Plan zu machen, aber sie schwamm in Tränen und war keines vernünftigen Gedankens fähig. Noch immer weigerte sie sich, zu Erich zu gehen. Ich sah ein paarmal nach ihm, noch immer war er bewußtlos, stöhnte aber leise. Ich sagte zu Helene, daß er wahrscheinlich
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