Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
mußte dabei unwillkürlich an Erich denken, der am letzten Tag seines Lebens ebenso hastig und unter zunehmender Panik im Haus herumgewühlt hatte.
Du bist nicht Erich, sagte sie sich, du bist nicht wie er. Bleib ruhig.
Aber es fiel ihr schwer, diesen Befehl an sich selbst zu befolgen. Ihre Nervosität schien sich mit jeder Minute zu vertiefen. Das Prickeln in ihren Fingerspitzen verstärkte sich. Sie wußte, in einigen Minuten würden ihre Hände zittern.
Sie sah sich im Zimmer um, bemühte sich krampfhaft, die aufsteigende Panik zu kontrollieren.
Ich bin jetzt nur unruhig, weil ich keine Tablette finde, dachte sie, sonst würde ich gar nichts merken. Es ist reine Einbildung. Es ist nicht echt.
Sie konnte nicht ewig hier oben bleiben. Sie schaute auf die Uhr, es war gleich eins, und sie war nun schon seit fünfundzwanzig Minuten im Haus verschwunden. Alan würde irgendwann auftauchen und nach ihr suchen. Und sie hatte sich immer noch nicht umgezogen, dabei hatte sie behauptet, deswegen auf ihr Zimmer gegangen zu sein.
Mein Koffer, dachte sie, im Koffer könnten noch welche sein. Wo ist der Koffer?
Sie sah sich hastig um, dann fiel ihr ein, daß sie ihn oben auf dem Schrank verstaut hatte. Sie zog einen Stuhl heran, kletterte hinauf, wühlte in dem Koffer herum. Sie konnte nichts sehen, denn selbst mit Hilfe des Stuhls blieb sie zu klein, sie konnte nicht über den Kofferrand hinwegschauen. Sie tastete auf dem Seidenfutter herum, aber die Erkenntnis blieb: Der Koffer war leer.
Sie versuchte, den Reißverschluß der Innentasche zu öffnen, hob sich dazu noch höher auf die Zehenspitzen, reckte sich. Sie hatte noch immer ihre nassen Gummistiefel an und rutschte plötzlich auf dem glatten Holz des Stuhls. Sie versuchte sich an der Schranckante festzuhalten, verfehlte sie aber. Sie verlor das Gleichgewicht und wäre rückwärts hinuntergestürzt, hätten nicht zwei Hände an ihre Hüften gegriffen und sie gehalten.
»Vorsicht«, sagte Alan, »so ein Sturz kann schlimm ausgehen. Was suchen Sie denn da oben?«
Sie hatte ihre Balance wiedergefunden, drehte sich um und sah zu ihm hinunter. Er ließ sie los.
»Danke«, sagte sie, »das war wirklich im richtigen Moment.«
»Entschuldigen Sie, daß ich einfach in Ihr Zimmer gekommen bin«, sagte Alan, »aber ich saß da unten im Auto und dachte, so lange kann das doch nicht dauern!« Er musterte sie. »Sie haben sich noch nicht umgezogen«, stellte er fest. »Sie haben ja sogar noch Ihre Regenjacke an. Und die Gummistiefel!«
Es hatte keinen Sinn, diese Tatsachen abzustreiten, und so
nickte sie einfach. Er nahm ihre Hand und half ihr, vom Stuhl herunterzuklettern.
»Sie sind sehr blaß«, meinte er, »stimmt etwas nicht?« Sie stand in ihren tropfnassen Sachen mit hängenden Armen vor ihm und hatte das Gefühl, ein Bild des Jammers zu bieten. »Das wissen Sie doch«, sagte sie resigniert. »Sie wissen doch, was nicht stimmt.«
Er nickte. »Ihre Tabletten.« »Ich brauche morgens und abends eine, dann ist alles okay. Heute früh habe ich keine genommen, und nun müßte ich unbedingt eine haben. Aber die Schachtel ist leer!« Sie machte eine Handbewegung zu ihrem Nachttisch hin. Die Schublade stand offen, oben, gleich neben der Leselampe, lag die leere Packung, daneben der zerknüllte Beipackzettel. »Ich bin ein solcher Idiot!« Fast kamen ihr die Tränen, sie kämpfte heftig dagegen an. »Ich habe die ganze Zeit gedacht, der blöde Zettel sei ein weiterer Streifen. Ich dachte, ich hätte noch Zeit, ehe ich neue bestellen müßte. Und nun hab ich gehofft... na ja, es hätte ja sein können, daß im Koffer noch etwas ist.«
»Aber Sie hatten Pech.«
»Ja. Der verdammte Koffer ist restlos leer! Und ich weiß nicht, wo ich noch suchen soll!«
Er sah sich im Zimmer um. »Wahrscheinlich«, meinte er, »ist tatsächlich nichts mehr da.«
»Ja. Das fürchte ich auch.«
Sie standen einander gegenüber, ratlos, unschlüssig.
Schließlich sagte Alan: »Sie brauchen das Zeug doch gar nicht!«
Franca lachte bitter. »Oh - das müßten Sie aber wirklich besser wissen. Sie haben mich doch in Hochform erlebt, letztes Jahr im September! «
»Das war, wie Sie richtig formulierten, letztes Jahr im September«, sagte er ruhig, »und jetzt haben wir Mai, und vor mir steht eine völlig andere Frau. Eine Frau, die kaum noch etwas zu tun hat mit dem zitternden Geschöpf, das sich damals an meinem Auto festhielt und zuvor einiges Unheil in The Terrace angerichtet
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