Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Mae betont munter: »Also, dann fahren wir doch jetzt los! Wir machen uns einfach einen netten Tag!«
»Fahrt ihr ruhig voraus«, sagte Alan. »Franca und ich kommen später. Wir müssen ja nicht die ganze Zeit nebeneinander hertrotten. «
Es war klar, daß er keine Lust hatte, allzuviel Zeit mit seiner Mutter zu verbringen - nicht, nachdem sie ihn wieder einmal auf seinen Alkoholkonsum angesprochen hatte.
»Sag doch gleich, daß du...«, begann Beatrice aufgebracht, aber Franca sagte rasch, um die Situation zu entschärfen: »Wir könnten uns ja vielleicht alle zum Mittagessen irgendwo in St. Peter Port treffen. «
Sie vereinbarten, um ein Uhr bei Bruno zu sein, einem Italiener an der Hafenstraße. Es war zehn Uhr, und es regnete noch immer.
Um halb eins hörte der Regen fast schlagartig auf, ein kräftiger Wind riß die Wolken auseinander, und immer größere Stücke eines
stahlendblauen Himmels schauten zwischen den Fetzen hervor. Gras und Blätter funkelten vor Nässe. Die Sonne erzeugte sofort so viel Wärme, daß Dampf von der Erde aufstieg und die Luft vor Feuchtigkeit waberte. Alan und Franca kehrten von einer Wanderung über den Klippenpfad bis zur Moulin Huet Bay zurück, beide völlig durchweicht, mit tropfenden Haaren und vor Nässe glänzenden Regenmänteln.
»Kaum sind wir daheim, hört es auf zu regnen«, sagte Alan, »unser Timing war außerordentlich schlecht.«
»Wir müssen nach St. Peter Port«, mahnte Franca mit einem Blick auf die Uhr, »Ihre Mutter und Mae warten.«
»Ach, lassen wir es doch ausfallen«, meinte Alan. »Ich habe nicht die geringste Lust, zwei Stunden mit meiner Mutter zusammenzusitzen und mir ihre Belehrungen anzuhören.«
»Es war ursprünglich Ihr Vorschlag, die beiden zu begleiten.«
»Das war dumm von mir. Irgendwie denke ich immer, wenn ich schon hier bin, sollte ich mich ein wenig um Mum kümmern, zumal jetzt, da sie nur noch mich hat... und dabei vergesse ich dann, wie unleidlich sie sein kann, und daß sie wohl nie mehr aufhören wird, an mir herumzuerziehen.«
»Ja, aber jetzt können wir die beiden nicht bei Bruno sitzenlassen«, sagte Franca. »Kommen Sie, es hilft nichts, Sie müssen da durch.«
Alan seufzte ergeben und kramte seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche. »Wie ist es - sind Sie unter Ihrem Regenmantel trocken genug, oder müssen Sie sich umziehen? «
»Es ist okay. Wir können fahren.«
Der Wagen stand ganz unten an der Auffahrt. Während sie zwischen den nassen Blumen den Weg hinuntergingen und immer wieder Tropfen von den Bäumen ihre Köpfe trafen, fiel Franca etwas ein. »Oh, Mist!« sagte sie auf deutsch und blieb stehen.
Alan hatte sie nicht verstanden und sah sie verwirrt an. »Was ist? «
Sie überlegte kurz. »Ich glaube, ich würde mich doch ganz gern umziehen«, sagte sie dann, nun wieder auf englisch, »und mir die Haare kämmen... na ja, mich einfach ein bißchen zurechtmachen. Warten Sie auf mich?«
»Selbstverständlich«, sagte Alan, »ich gehe schon mal zum Auto.«
Sie nickte und rannte zum Haus zurück. Lief die Treppe hinauf in ihr Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Sie hatte es vergessen am Morgen. Sie hatte vergessen, ihre Tablette zu nehmen. Sie zog die Nachttischschublade auf, nahm die Schachtel heraus. Sie war leer.
Zwanzig Minuten später hatte sie noch immer nirgendwo im Zimmer eine letzte Reserve gefunden. Die Packung in der Schublade war aufgebraucht gewesen. Sie hatte darauf gestarrt und es nicht fassen können. Sie versuchte, sich an den vergangenen Abend zu erinnern: Sie hatte sich eine Tablette geholt, ehe sie mit Beatrice nach St. Peter Port gefahren war. Sie war in Eile gewesen, aber ihr fiel ein, daß sie die letzte Tablette eines Streifens genommen hatte. Sie hatte in die Schachtel gespäht und gemeint, einen weiteren, vollen Blisterstreifen darin zu sehen, aber nun mußte sie feststellen, daß sie sich getäuscht hatte: Lediglich der zusammengefaltete Zettel mit den Einnahmehinweisen steckte noch in der Papphülle.
»Scheiße!« sagte sie inbrünstig. Sie war zu hektisch gewesen am Vorabend, zu schlampig. Aber genaugenommen war sie die ganze Zeit über zu schlampig gewesen. Sie bekam das Präparat auf der Insel nicht. Sie hätte vor mindestens zwei Wochen neue Medikamente in Deutschland bestellen müssen.
Sie stand mitten im Zimmer.
Warum habe ich das nicht getan, überlegte sie, warum bloß? So etwas ist mir noch nie passiert...
Sie begann erneut im Zimmer herumzustöbern und
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