Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Sie da sicher?«
Sie war auf einmal schrecklich müde. »Ich weiß es nicht. Aber es geht mir dann sehr schlecht, und ich hätte solch einen Anfall lieber nicht in der Öffentlichkeit.«
»Das kann ich verstehen. Aber hier wären Sie ganz allein, und das finde ich auch nicht so gut. «
Die Müdigkeit nahm zu, und Franca begriff, daß sie für den Moment vor dem Aufflammen der Panik sicher war. Wenn diese schreckliche Erschöpfung über sie hereinfiel, bedeutete das, daß die Panik in sich zusammengebrochen war, noch ehe sie ihren Angriff hatte beginnen können. Sie hatte sich gewissermaßen verwandelt — in eine kaum vorstellbare Kraftlosigkeit. Sie würde eine Weile brauchen, bis sie erneut Gestalt annehmen konnte. Zuerst mußten die Kräfte zurückkehren.
Sie brachte nicht mehr die Energie auf, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie liefen ihr einfach aus den Augen und rollten über ihre Wangen. »Tut mir leid«, murmelte sie, »ich weiß nicht, warum ich weine. Ich bin so müde. Ich bin einfach so schrecklich müde.«
Sie fühlte, wie Alans Arme sie umschlossen. Ihr Gesicht wurde gegen seine nasse Regenjacke gepreßt, aber das machte nichts, da es von ihren Tränen ohnehin schon feucht war. Eine tröstliche Dunkelheit umhüllte sie, und Alans Arme gaben ihr Halt und Wärme.
Wie aus der Ferne vernahm sie seine Stimme: »Es muß dir doch nicht leid tun! Um Gottes willen, weine doch einfach. Weine, solange du willst! «
Sie überließ sich ihren Tränen, seinen Armen und seiner Stimme. Sie wollte sich nicht dagegen wehren, selbst wenn sie es gekonnt hätte.
Ich brauche Kraft, dachte sie, irgendwoher brauche ich Kraft.
Zu ihrer Verwunderung merkte sie, daß sie eine Quelle gefunden hatte.
6
Es war nach zwei Uhr, als sie schließlich bei Bruno ankamen.
»Meine Mutter wird schon ganz aufgelöst sein«, bemerkte Alan, »sicher ist sie überzeugt, daß ich sinnlos betrunken in irgendeiner Ecke liege und du es nicht fertigbringst, mich hierherzuschaffen. «
Sie waren auf die vertraute Anrede übergegangen seit der Szene in Francas Zimmer. Franca hatte eine halbe Stunde lang geweint, sie hatte geschluchzt und gezittert und dabei gespürt, daß sie nicht wegen ihrer fehlenden Medikamente so heftig weinte, sondern daß ein sehr alter, sehr lange aufgestauter Schmerz aus ihr herausbrach, daß es um ihre verlorenen Jahre ging, um Michaels Lieblosigkeit, um all die Kränkungen, die ihr zugefügt worden waren, und um die Kraftlosigkeit, mit der sie sie hingenommen hatte.
Er hatte sie schluchzen lassen, bis ihre Tränen von selbst versiegten, bis sie ruhiger wurde, bis der Kummer nicht länger stoßweise aus ihr herausfloß. Einmal hatte er ihr über die Haare gestrichen und leise gesagt: »Ich weiß, was du fühlst. Ich weiß es so gut. Und sie hatte das Gefühl gehabt, daß auch er sich an ihr festhielt, daß auch er in ihr einen Trost fand, selbst wenn es schien, als sei allein sie es, die Kraft schöpfte aus ihm.
»Es geht wieder«, hatte sie schließlich gesagt und sich ein wenig befangen aus seinen Armen gelöst. Sie hatte sich über die Haare gestrichen.
»Ich muß fürchterlich aussehen.«
»Du siehst hübsch aus«, sagte er, »aber du solltest dir das Gesicht waschen. Wir müßten sonst meiner Mutter und Mae eine Erklärung geben.«
Sie ging ins Bad, spritzte kaltes Wasser in ihr Gesicht, putzte sich die Nase, kämmte die Haare. Der Anblick von Verwahrlosung blieb, aber sie hatte jetzt keine Zeit mehr, sich umzuziehen und einigermaßen herzurichten.
Egal, dachte sie, Alan ist nicht Michael. Er wird sich auch so mit mir sehen lassen.
Im Auto auf dem Weg nach St. Peter Port sprachen sie kein Wort
mehr über das Vorgefallene. Der Wind hatte inzwischen die letzten Wolken verjagt, und der Himmel war so blau wie am Vortag.
»Ich wußte, daß es heute noch schön werden würde«, sagte Alan. Er klang zufrieden. »Ein bißchen kenne ich mich doch noch aus mit der Insel.«
»Hast du manchmal überlegt, zurückzukehren?« fragte Franca, und Alan sagte: »Manchmal habe ich ein wenig Heimweh. Aber letztlich bietet mir die Insel keine interessanten beruflichen Möglichkeiten. Und an diesen Punkt muß ich schließlich auch denken ... An ihn muß ich vor allem denken«, fügte er nach einer sekundenlangen Pause hinzu, und es klang ein wenig so, als müsse er sich selbst überzeugen.
Als sie vor dem Restaurant standen und er die Bemerkung über seine Mutter machte, die nach seiner Ansicht schon das Schlimmste
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