Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Danach beginnt es wieder hinunterzufallen. Wie die Wellen im Meer.
Und er hatte noch etwas gesagt:
Sie sollten sich erinnern, wie es war... als die Panik in sich zusammenfiel. Wie Sie wieder atmen konnten, ruhig und gleichmäßig. Wie das Zittern aufhörte. Wie Sie feststellten, daß Sie am Leben bleiben würden.
Daß Sie am Leben bleiben würden. Sie krallte sich an diesem Satz fest, stellte sich Alans ruhige, tiefe Stimme vor, die ihn sprach.
Daß Sie am Leben bleiben würden... Sie werden nie daran sterben. Sie werden Ihre eigene Panik jedesmal überleben. Sie müssen nicht halb soviel Angst haben, wie Sie jetzt empfinden.
Die Welle stieg, stieg und stieg. Franca konnte noch immer nicht atmen, aber sie hatte Alans Worte, die sie umschlangen wie etwas, das lebenslange Rettung verhieß. Es gelang ihr, sich nicht mehr gegen die Panik zu stemmen. Sie ließ sie kommen, ließ sie sich auftürmen. Die schwarze Wand war jetzt unmittelbar vor ihr. So dicht, so dicht... noch einen Millimeter näher, und es würde zur Katastrophe kommen, sie würde verschlungen werden, aufgesogen, aufgelöst...
Und genau in diesem Moment war der Höhepunkt erreicht. Sie schnappte noch einmal nach Luft, rang um Atem, ein letzter stoßartiger Schweißausbruch durchweichte ihre Kleider, und dann fiel die Panik herab, wurde schwächer, kleiner, wurde unbedeutender. Wurde zu weißem, flachem Schaum, der über den Sand rollte.
Ihre Atmung kehrte zurück. Das Rauschen in den Ohren verebbte. Vor den Augen flimmerte es nicht mehr, Bilder tauchten auf, nahmen klare Konturen an. Sie sah wieder das Lenkrad vor sich, sah durch die Windschutzscheibe hindurch auf Bäume und Blumen und eine asphaltierte Straße, die sich in ein Dorf hineinschlängelte. Sie roch den Geruch des Autos: ein wenig Benzin, Stoffsitze, den Gummi der Reifen. Dazwischen mischte sich ihr Schweiß, der nun kalt und langsam trocken wurde auf der Haut. Sie hörte Vögel zwitschern, irgendwo brummte ein Flugzeug. Sie war wach und lebendig. So lebendig, wie man überhaupt nur sein konnte. Sie hatte es überstanden. Allein. Ohne Tabletten, aber auch ohne einen Menschen, der sich um sie kümmerte, so wie damals Alan in der Hauteville Road in St. Peter Port. Sie hatte es über
sich ergehen lassen, und nun hob sie den Kopf und stellte fest, daß es keine Tragödie gewesen war. Es war unangenehm gewesen, schrecklich und furchterregend, aber letztlich hatte es nicht allzulang gedauert.
Auch wenn es wiederkommt, dachte sie, werde ich es überstehen.
Sie hatte keine Zeit, dazusitzen und sich ihres Sieges zu freuen. Das konnte sie später tun. Alan brauchte sie. Sie bückte sich, angelte das Handy zwischen den Pedalen hervor. Sie mußte jetzt sofort die Polizei in die Perelle Bay schicken. Und ins Sea View nach St. Peter Port.
9
Beatrice kehrte mit langsamen Schritten an den Tisch draußen in der Sonne zurück. In ihrem Kopf jagten die Gedanken. Was Franca da gerade hastig und atemlos erzählt hatte, klang so befremdlich, so eigenartig, daß sie es nicht glauben konnte. Julien Mitglied einer Bande, die Schiffe klaute und nach Frankreich verschob? Und hatte sie nicht auch noch erwähnt, er habe etwas mit Helenes Tod zu tun? Franca mußte völlig durchgeknallt sein.
Was soll ich denn jetzt machen? fragte sie sich.
Sie dachte daran, was sie von Franca wußte.
Sie nahm Tabletten, weil sie irgendwelche Angstattacken hatte. Sie litt unter tiefen Selbstzweifeln, Minderwertigkeitsgefühlen und der neurotischen Vorstellung, stets zu versagen. Zwar schien sie stabiler geworden zu sein in den letzten Wochen, aber natürlich war es nicht auszuschließen, daß sie irgendwann noch einmal einen Rückfall erleiden würde. Sie hatte am Telefon allerdings nicht den Anschein erweckt, als sei sie verwirrt. Aber wahrscheinlich war das für einen Außenstehenden ohnehin schwer zu erkennen.
Julien stand auf, als sie an den Tisch trat, und schob seine Zigarrenschachtel in die Jackentasche.
»Da bist du ja«, sagte er. »Ich muß jetzt leider wirklich gehen.
Ist alles in Ordnung? Du bist etwas blaß. Wer wollte dich denn sprechen?«
Anstelle einer Antwort fragte sie zurück: »Mit wem bist du verabredet? «
»Du kennst diese Leute nicht.« Es klang ausweichend. »Freunde. Ich bin schon ein bißchen spät...« Er wies auf ein paar Pfundnoten, die er auf den Tisch gelegt und mit dem Aschenbecher beschwert hatte. »Du bist mein Gast.«
Er umfaßte ihre Oberarme, neigte sich zu ihr und wollte sie küssen,
Weitere Kostenlose Bücher