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Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Titel: Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Sie knipste wieder an dem Handy herum.
    Ich hätte zuerst die Polizei anrufen sollen. Wieso habe ich das nicht getan? Das war falsch!

    Ihre Hände zitterten stärker. Das Wort falsch hämmerte in ihrem Kopf. Es war das vertraute Maschinengewehrfeuer, das sie von Michael kannte. Sie machte alles falsch. Sie funktionierte einfach nicht. Sie verhielt sich konfus und idiotisch und traf die falschen Entscheidungen. Es war einfach so. Es war immer so gewesen. Sie hatte sich für den falschen Beruf entschieden. Sie hatte sich für den falschen Mann entschieden. Im Restaurant wählte sie das falsche Essen und in der Boutique das falsche Kleid. Und sie telefonierte in der falschen Reihenfolge. Für Alan ging es um Leben und Tod, und sie rief zuerst Beatrice an, nur damit der unbedeutende Julien gefaßt werden konnte.
    Und wenn es falsch war, sagte eine innere Stimme, jetzt ist nicht der Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Dann wird alles noch viel falscher. Ruf jetzt, verdammt noch mal, endlich die Polizei an!
    Ihre Finger bebten so sehr, daß sie die Tasten des Apparats nicht bedienen konnte. Alles an ihr vibrierte, die Beine, der Körper. Sie war überall naß. Der Schweiß brach stoßweise aus, überschwemmte sie. Tiefste Hoffnungslosigkeit, eine lähmende Niedergeschlagenheit packten sie.
    Eine Panik. Die Panik, die sie den ganzen Tag über bekämpft hatte, brach sich jetzt Bahn. Sie hatte Zeit gehabt, Kraft zu sammeln. Sie war entschlossener denn je. Sie war über Stunden zurückgedrängt worden. Jetzt würde sie sich nicht mehr aufhalten lassen.
    Nicht jetzt, nicht jetzt, nicht jetzt! Ich muß die Polizei anrufen. Um Gottes willen, nicht jetzt!
    Ihr Atem ging keuchend. Vor ihren Augen flimmerte es. Sie konnte keinen Punkt mehr fixieren, alles drehte sich um sie. Das Handy entglitt ihren Fingern, rutschte irgendwo zwischen die Pedale des Autos. Sie war jetzt naß am ganzen Leib, sie hätte im Wasser gewesen sein können. Ihr Atem ging immer schwerer. Die Angst umgab sie wie ein Nebel, der mit jeder Sekunde dichter und undurchdringlicher wurde. Sie drängte sich an sie heran, wurde dunkel. Schwarz. Der Nebel wandelte sich in eine schwarze Wand, die auf sie zukam.
    O Gott, ich werde sterben. Ich werde sterben.
    Sie rang nach Luft. Sie hatte immer gefürchtet, an ihrer Panik
eines Tages zu ersticken. Jetzt war es soweit. Sie saß auf Guernsey in einem Auto am Straßenrand, am Eingang eines Dorfes, dessen Namen sie nicht kannte, Alan schwebte in Lebensgefahr oder war vielleicht schon tot, so schrecklich und grausam ermordet wie Helene, sie hatte Beatrice angerufen und in Verwirrung versetzt und war nun unfähig, die Polizei zu verständigen, und hatte eine Panik, an der sie sterben würde. Puls und Herz rasten. In ihren Ohren rauschte es. Sie wollte die Wagentür öffnen, wollte nach Luft ringen, aber ihre Hände gehorchten ihr nicht. Da sie zudem nichts sehen konnte, war es ihr auch unmöglich, den Türgriff zu finden. Sie hatte den Eindruck, daß die Windschutzscheibe auf sie zukam, bereits auf ihrer Brust lag und ihr den Atem nahm. Sie konnte nicht einmal mehr schreien. Das Entsetzen ballte sich in ihrem Innern zu Worten und Lauten zusammen, die sie jedoch nicht herausbrachte. Ihre Hilferufe verhallten ungehört in ihrem eigenen Kopf. Und es wurde schlimmer. Mit jedem Augenblick wurde es schlimmer, bedrohlicher, enger, tödlicher. Mit jedem Augenblick wurde Alans Lage gefährlicher.
    Der Gedanke an Alan löste irgend etwas in ihr aus. Irgendeine Gedankenassoziation, die sie nicht gleich zu erfassen mochte. Aber da war etwas inmitten des Chaos, das in ihr tobte. Etwas, woran sie sich festhalten konnte. Sie mußte es nur zu fassen bekommen. Es war ein Bild... Sie kam sich vor wie jemand, der ein Blatt fangen will, das im Wind umherflattert: Jedesmal wenn sie die Hand danach ausstreckte, wirbelte es schon wieder davon.
    Sie bekam einen kleinen Zipfel zwischen die Finger, hielt ihn fest. Eine Welle. Das Bild einer Welle. Einer Welle, die anstieg und anstieg, höher und höher, die sich aufbäumte und schließlich umschlug, zusammenbrach, hinunterstürzte, klein und flach wurde und als weißer harmloser Schaum über den Sand lief.
    Alan hatte davon gesprochen. Irgendwann hatte er das Bild dieser Welle vor ihr gemalt. Was hatte er genau gesagt? Sie hatte das sichere Gefühl, daß das Erinnern an seine Worte ihr helfen würde. Was hatte er von der Welle gesagt?
    Nichts kann höher steigen als bis zu seinem eigenen Höhepunkt.

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