Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
dort hinkommen. Sie holen heute ein Schiff, das nach Calais soll. Die Bande ist deshalb fast vollzählig versammelt. Das Schiff läuft jetzt mit der Flut aus. Jedenfalls war das so geplant. Aber vielleicht ist schon die Polizei da.«
»Ich hoffe es«, sagte Beatrice inbrünstig, »ich hoffe von ganzem Herzen, daß diese Verbrecher geschnappt werden. Helene war weiß Gott kein Engel, aber dieses Ende hatte sie nicht verdient. Niemand verdient es. Ich werde nie diesen grausigen Anblick vergessen. « Sie zog die Schultern hoch, umschlang ihren Körper mit beiden Armen, als versuche sie sich zu schützen vor dem, was das Leben seinen Geschöpfen antun konnte. »Ich möchte, daß sie bestraft werden. Ich möchte, daß dieser Gerard für den Rest seines Lebens hinter Gittern sitzt.«
Julien nickte langsam. Ohne Beatrice anzusehen, fragte er: »Warum willst du es für mich nicht?«
»Was?«
»Ich gehöre auch zu diesen Leuten. Warum willst du nicht, daß ich für den Rest meines Lebens hinter Gittern sitze?«
»Du hast mit Helenes Ermordung nichts zu tun.«
»Geht es nur um Helene?«
Sie überlegte. Auf gewisse Weise ging es gerade um Helene.
»Ich will, daß sie gerächt wird. Sie hat mich belogen und betrogen. Sie hat mir Jahre meines Lebens gestohlen. Aber ich habe mich auch bestehlen lassen. Ich denke, häufig ist das Opfer an der Tat ebenso beteiligt wie der Täter. Ich habe Helene den Platz eingeräumt, den sie schließlich innehatte in meinem Leben. Ohne mein Zutun wäre ihr das nicht geglückt. Also denke ich, daß ich keinen Grund habe, sie zu verurteilen.«
»Das sagt dein Verstand. Aber was sagt dein Gefühl?«
Die Frisbee-Scheibe sauste haarscharf an ihren Köpfen vorbei und schlug ins Wasser. Die Kinderschar sprang johlend und kreischend hinterher.
»Mein Gefühl«, sagte Beatrice, »erklärt mir, daß Helene mir etwas gegeben hat. So absurd sich das für mich selbst anhört, aber einen Teil meiner Kraft habe ich aus Helene bezogen. Sie war immer da. Sie jammerte ohne Unterlaß. Sie bettelte um meine Gunst. Sie setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um mich bei sich zu behalten. Und ich denke heute, daß ich das gebraucht habe. Ich brauchte die Anforderungen, die sie an mich stellte, ich brauchte ihr Buhlen, ich brauchte ihr ständiges Heulen und Zähneklappern. Ich war die Starke, weil sie die Schwache war. Und wenn dies auch nicht der Wahrheit entsprach, so war es zumindest eine konsequent aufrechterhaltene, lebenslange Illusion, die wir uns beide nicht nehmen ließen. Und ohne die wir nicht hätten sein können. Also«, sie zuckte mit den Schultern, eine Geste, die sie gleichmütiger erscheinen ließ, als sie sich tatsächlich fühlte, »habe ich meinen Frieden mit ihr geschlossen. Und für ihren Frieden ist es wichtig, daß ihren Mördern der Prozeß gemacht wird.«
»Trotz allem«, beharrte Julien, »beantwortet dies meine Frage noch nicht. Warum hast du mich gewarnt?«
»Aus alter Freundschaft.«
Er sah sie zweifelnd an. »Freundschaft?«
»Mehr ist es von deiner Seite aus nicht gewesen.«
»Was war es auf deiner Seite?«
In ihrem Alter, so fand Beatrice, mußte sie nicht mehr taktieren und kokettieren.
»Von meiner Seite aus war es Liebe. Was hättest du anderes von dem vierzehnjährigen Mädchen erwartet, das ich damals war? Es war Liebe, und sie war stark und tief genug, mich für den Rest meines Lebens für jeden anderen Mann zu verderben.«
»Mein Gott«, murmelte Julien.
Sie bemühte sich, die sentimentale Stimmung, die sich ihrer zu bemächtigen drohte, abzufangen, ehe sie Fuß fassen konnte.
»Na ja«, meinte sie, » ich finde, dich sollte niemand mehr einsperren. Du hast viele Jahre deines Lebens in einem Gefängnis verbracht. Unschuldig. Eingekerkert von den Deutschen. Wenn du so willst, hast du deine Mitschuld an Helenes Tod, wenn es überhaupt eine gibt, längst abgesessen. Damit ist der Gerechtigkeit Genüge getan.«
Er sah sie an. »Du bist eine erstaunliche Frau, Beatrice. Du willst mich wirklich nicht mehr eingesperrt sehen? «
Er konnte ihr ansehen, wie ernst es ihr war. »Nein«, antwortete sie, »das will ich nie mehr sehen. Nie mehr erleben. Ich habe nie den Ausdruck in deinen Augen aus jener Zeit vergessen. Er hat mich immer verfolgt. Er hat mich immer... erfüllt. Und daher habe ich vorhin im Sea View meine Entscheidung getroffen. Für dich.«
»Ich muß«, sagte Julien, »so rasch wie möglich die Insel verlassen. Bevor mein Name der Polizei bekannt wird und
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