Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
ihrer Puppen oder eines der Tiere in den Arm zu nehmen. Es erschien ihr nicht mehr angemessen. Es war, als habe sich die Welt einmal um sich selbst gedreht und dabei ein völlig neues Gesicht bekommen, das mit dem alten keine Ähnlichkeit mehr aufwies. Die Kindheit war vorbei. Sie hatte jäh geendet, es hatte keinen sanften Übergang in das neue Leben gegeben. Nie wieder würde Beatrice Trost finden in der Umarmung eines Teddybären oder einer Puppe.
Am frühen Abend erschien Will und sagte, sie solle zum Essen herunterkommen. Beatrice verspürte noch immer keinen Hunger, aber sie folgte dennoch der Aufforderung. Unten in der Eingangshalle stapelten sich Kisten und Kartons. Jenseits der offenstehenden Haustür sah Beatrice einen Kübelwagen, an dem zwei deutsche Soldaten lehnten und plauderten. Sie hielten ihre Gesichter in die Abendsonne und lachten. Sie sahen nicht nach Krieg aus, sondern wirkten wie zwei junge Männer, die Ferien machten und ihre Freiheit genossen.
Es ist wie ein Spiel für sie, dachte Beatrice schaudernd.
Im Eßzimmer hatten sich Erich und drei weitere deutsche Offiziere eingefunden. Sie standen um den Tisch herum, rauchten und unterhielten sich in ihrer Sprache. Auf dem Tisch war Deborahs schönstes Porzellan eingedeckt, dazu die kristallenen Weingläser und das alte, silberne Besteck. Die Familie hatte es nur an Feiertagen benutzt, an Weihnachten, Ostern und an Geburtstagen. Doch die Deutschen schienen die wertvollen Stücke in Gebrauchsgegenstände umfunktionieren zu wollen. Oder sahen sie den Tag als einen besonderen Anlaß an? Vielleicht feierten sie ihren Sieg über die Inseln. Jedenfalls brannten die Kerzen in allen Leuchtern, und die große Glasschale auf der Anrichte war mit Wasser gefüllt, auf dem Rosen in allen Farben, leuchtend und wild,
schwammen. Die Tür zum Garten stand offen, die Sonne schien auf das helle Grün des Rasens.
Zum erstenmal seit vielen Tagen waren keine Flieger zu hören, nur Vogelgezwitscher und das Zirpen der Grillen. Irgendwie fand es Beatrice irritierend, daß die Insel trotz der dramatischen Ereignisse in nichts ihr Gesicht geändert hatte.
Erich wandte sich zu ihr um, als sie das Zimmer betrat. Er lächelte.
»Da ist ja die junge Dame«, sagte er. Er sprach jetzt wieder sein akzentreiches Englisch. »Meine Herren, darf ich Ihnen Miss Beatrice Stewart vorstellen? «
Er fügte nicht hinzu — aber vielleicht hatte er zuvor davon berichtet—, daß dies in Abwesenheit ihrer Eltern ihr Haus war. Er behandelte sie wie einen Gast, der sich etwas verspätet hatte und nun nachträglich bekannt gemacht wurde.
Die Namen der Herren rauschten an ihrem Ohr vorüber, sie verstand sie nicht, und sie interessierten sie auch nicht. Sie bekam nur mit, daß es sich offenbar bei allen um Offiziere handelte. Erich selbst wurde mit »Herr Major« angesprochen und mit großem Respekt behandelt. Er gebärdete sich ganz als Hausherr, ließ Will — der, wie Beatrice vermutete, wohl eine Art persönlicher Diener war — Wein aus dem Keller holen und freigiebig ausschenken. Beatrice wußte, wie stolz ihr Vater immer auf seinen Weinkeller gewesen war, und es machte sie wütend, dabei zuzusehen, wie Erich Feldmann voller Stolz die Etiketten vorlas, als habe er für all die Genüsse gesorgt.
Ein Koch brachte das Essen. Er sah hager und blaß aus und sprach kein Wort, aber er schien etwas von seinem Handwerk zu verstehen, denn er hatte ein hervorragendes fünfgängiges Menü gezaubert. Erich hatte den Nachmittag über Unmengen von Lebensmitteln anliefern lassen. Beatrice fragte sich, ob die Deutschen derartige Güter wohl mitgebracht oder einfach nach der Besetzung der Insel beschlagnahmt hatten. Sie rührte kaum etwas an, trank nur in hastigen Zügen den Orangensaft, den Will vor sie hingestellt hatte. Die Männer unterhielten sich auf deutsch, lachten, schienen bester Laune zu sein. Erst als man beim Dessert angelangt war, wandte sich Erich wieder an Beatrice.
»Will wird dir von morgen an jeden Tag zwei Stunden Deutschunterricht geben. Ich denke, du wirst unsere Sprache rasch lernen. In deinem Alter ist man noch sehr aufnahmefähig.«
»Außerdem sieht sie nach einer sehr intelligenten kleinen Lady aus«, meinte einer der Offiziere und zwinkerte Beatrice onkelhaft zu.
»Wozu soll ich Deutsch lernen?« fragte sie. »Ich werde ja nie in Deutschland leben.«
Verblüfftes Schweigen folgte ihren Worten. Will, der gerade Wein hatte nachschenken wollen, erstarrte in der Bewegung.
Weitere Kostenlose Bücher