Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
karge, flache Gras, das der Wind auf den Klippen niederdrückte, gefiel ihr besser als die lieblichere Landschaft des Südens. Pleinmont war ihr Lieblingsort. Wann immer sie wirklich nachdenken, allein sein, mit sich selbst einig werden wollte, zog sie sich dorthin zurück.
Sie ging wieder in die Küche. »Niemand da«, sagte sie, »nur eine Katze.«
»Dann habe ich mich wohl getäuscht. Hast du wieder abgeschlossen? «
»Seit wann schließt du ab? Nein, ich habe offengelassen.«
»Man sollte heutzutage nicht allzu leichtsinnig sein. Der Diebstahl nimmt überall zu.«
Sie lachte. »Aber doch nicht auf Guernsey!« Sie beobachtete, wie er den Salat, der offensichtlich endlich zu seiner Zufriedenheit gesäubert war, in der Schüssel anrichtete. Er schien ihr zunehmend ein wenig eigentümlich zu werden. Seine Reinlichkeitsphobie, seine Angst vor Einbrechern ... Wahrscheinlich lebte er schon zu lange allein. Nach ihrer Erfahrung entwickelten die Menschen dann häufig eigenartige Marotten. Sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt, kreisten von morgens bis abends nur um sich. Das machte wunderlich.
Armer Kevin, dachte sie zärtlich.
Sensibel wie er war, bemerkte er, daß sie gerade über ihn nachdachte, und schon war er bestrebt, von sich abzulenken.
»Du willst dieser Frau in Deutschland wieder schreiben? « fragte er.
»Warum nicht? Im Alter wird man geschwätzig, und wenn ich jemanden habe, der mir interessiert zuhört — warum sollte ich das nicht ausnutzen?«
»Weil es vielleicht manches aufwühlt, was sich gerade erst gesetzt hat.«
Sie starrte nachdenklich dem Qualm ihrer Zigarette hinterher.
»Ich weiß nicht, ob sich irgend etwas gesetzt hat«, meinte sie dann. »Ich glaube, nicht wirklich. Es gibt Dinge, mit denen wird man nie fertig. Man verdrängt sie, aber das ist nicht dasselbe, wie damit fertigzuwerden.«
»Die Leute sagen immer, es sei schlecht, etwas zu verdrängen, aber nach meiner Ansicht ist das Unsinn«, meinte Kevin, »modisches Psychogequatsche. Warum soll man nicht manches Unangenehme verdrängen, wenn man damit besser lebt? Und ich glaube, du lebst auf jeden Fall ruhiger, wenn du den Horror von damals nicht wieder aufwärmst. Wozu auch? Du hast dein schönes, relativ sorgloses Dasein. Vergiß die Dinge, die dir irgendwann einmal das Herz schwergemacht haben.«
»Vergessen kann ich sie sowieso nicht. Es gibt Erinnerungen, die sind haltbar wie Sekundenkleber. Du wirst sie nicht los, so oder so.
Und manchmal ist es leichter, über sie zu reden, als ständig dagegen anzukämpfen, daß sie sich in den Vordergrund schieben.«
»Du mußt wissen, was du tust«, meinte Kevin nur.
Die feuerroten Strahlen der untergehenden Sonne hatten das Fenster erreicht, flammten in die Küche. Kevin klapperte leise mit Tellern und Bestecken. Ein paar Minuten noch, dann würde die Sonne untergehen. Das sanfte, dämmrige Licht des Spätsommerabends würde sich ausbreiten.
Beatrices Gedanken schweiften ab. Sie hatte den Nachmittag damit zugebracht, an Franca einen Brief zu schreiben, aber sie hatte ihn noch nicht abgeschickt, und sie war auch nicht sicher, ob sie es überhaupt tun würde. Kevin hatte ihr Verhalten höchst befremdlich gefunden, das hatte sie gemerkt, und vielleicht hatte er recht. Sie kannte die Frau praktisch nicht, vor der sie ihre Lebensgeschichte so bereitwillig ausbreitete.
Andererseits, dachte sie, breite ich im Grunde doch gar nicht meine Lebensgeschichte vor ihr aus. Sie ist Deutsche, sie ist ein paarmal hiergewesen, sie interessiert sich für das, was vor über fünfzig Jahren auf den Kanalinseln passiert ist. Ich schildere ihr ein paar Fakten. Das ist alles.
Es stimmte nicht ganz, das wußte sie. Sie hatte ihr ziemlich genau die Gefühle und Empfindungen des verlassenen kleinen Mädchens beschrieben, das im Wohnzimmer seines Elternhauses kauerte und schreckensstarr auf das Dröhnen der Flugzeuge lauschte, die die Besatzer auf die Insel brachten. Sie hatte sie Einblick nehmen lassen in ihre Seele, diese Fremde, hatte ihr mehr von sich offenbart als ihrem eigenen Sohn. Wobei Alan wohl mit einem Gähnen auf die »verstaubten Geschichten von vor hundert Jahren«, wie er sie immer nannte, reagiert hätte.
Vielleicht sollte ich diesen Briefwechsel beenden, überlegte sie. Franca Palmer ist eine höfliche, vorsichtige Frau. Wenn ich nur die geringste Andeutung mache, daß ich genug habe, zieht sie sich sofort zurück. Ich kann jederzeit aufhören.
Vor allem sollte sie nicht
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