Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Dann lachte Erich, laut und — wie es Beatrice vorkam — nicht fröhlich, sondern aggressiv.
»Mein liebes Mädchen, das ist wirklich entzückend! Aber in deinem Alter fehlt wohl jeder Blick für die Realität. Du lebst bereits in Deutschland, hast du das nicht begriffen?«
»Ich...«, setzte Beatrice an, aber Erich unterbrach sie sofort: »Du mußt dir das klarmachen. Je eher, desto besser. Dies hier, diese Inseln, sind jetzt Deutschland !«
Einer der übrigen Offiziere schien den Eindruck zu haben, Beatrice sei möglicherweise durch die sich überschlagenden Geschehnisse der letzten Tage geschockt genug, und es sei nicht der Moment, ihr nationalsozialistisches Gedankengut nahezubringen.
»Die Kleine ist sicher müde«, sagte er unbehaglich, »und außerdem hat sie...«
»Sie ist müde, aber sie muß es lernen!« rief Erich. Seine Zunge schlug etwas an, und er sprach zu laut. Seine Augen hatten einen metallischen Glanz. Beatrice hatte nicht den Eindruck, daß er allzuviel getrunken hatte, aber offenbar vertrug er schon geringe Mengen Alkohol nur schlecht. Sie vermutete, daß er schwanken würde, falls er aufstand.
»Die ganze Welt«, sagte er, »wird Deutschland sein. Verstehst du? Norden, Osten, Süden, Westen — wohin du auch blickst, wohin du gehst, überall wird Deutschland sein. Hast du nicht bemerkt, mit welcher Unaufhaltsamkeit wir alle Länder besetzen? Wo ist das Volk, das uns Widerstand zu leisten vermag? Nenne es mir! Sag mir, wer stärker ist als wir!« Er funkelte Beatrice herausfordernd an.
»Sie ist doch noch ein Kind«, sagte der andere Offizier wieder.
Erich wandte sich ihm zu mit der Bewegung eines Raubvogels, der auf ein Beutetier herabstürzt. »Das ist es ja! Gerade deshalb muß sie es begreifen, wie tief sich die Welt verändern wird, in der sie lebt. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Nichts — und das muß sie wissen —, nichts wird sein, wie es war!«
Niemand sagte etwas. Der Nachhall der Worte hing im Raum. Will fuhr fort, den Wein einzuschenken. Eine Weile hörte man nur das leise Klappern der Bestecke, das Klingen der Gläser. Beatrice sah zu Erich hin. Seine Wangen hatten sich in einem unnatürlichen Rot gefärbt, und er kippte den Wein viel zu hastig hinunter. Fast körperlich empfand Beatrice die Bedrohung, die von diesem Mann ausging. Er hatte etwas Unbeherrschtes, Gewalttätiges in seiner Art. Sie hatte dies am Mittag, während ihrer ersten Begegnung, nicht gespürt, aber nun trat es deutlich hervor. Offenbar reichten schon geringe Mengen Alkohol aus, diese Seite in ihm wachzurufen.
Nach dem Essen stand Beatrice sofort auf und ging nach oben. Unten sprachen die Männer offenbar reichlich dem Alkohol zu, denn Stimmen und Gelächter wurden immer lauter. Erich konnte man mühelos unter allen anderen heraushören.
Beatrice versuchte die Stimmen aus ihrem Bewußtsein zu filtern. Sie stellte sich an das weitgeöffnete Fenster und atmete tief die Wärme der klaren, hellen Juninacht. Sie dachte an ihre Mutter und ihren Vater, stellte sich beide so intensiv vor, wie sie nur konnte. Wo mochten sie sein? Waren sie gut in England angekommen? Sicher waren sie krank vor Sorge um ihr Kind. Ob Deborah jetzt auch an sie dachte? Vielleicht trafen sich ihre Gedanken in der Mitte, die irgendwo zwischen ihnen lag. Beatrice fühlte und wußten, daß Mummie genauso wie sie in die Nacht hinausstarrte und sich nach ihr sehnte.
»Mach dir keine Sorgen, Mummie«, flüsterte sie, »ich bin schon ziemlich groß, und ich werde das alles durchstehen. Du mußt keine Angst um mich haben. Und wir werden uns sicher wiedersehen, es wird gar nicht so lange dauern.«
Halb hatte sie gedacht, daß vielleicht Will noch auftauchen und ihr eine gute Nacht wünschen würde, aber er ließ sich nicht
blicken, und so zog sie sich schließlich aus und legte sich ins Bett. Sie war nicht im Bad gewesen, obwohl Wasser, Seife und Zahnpasta ihr nach der langen Zeit gutgetan hätten, aber sie hatte gefürchtet, auf dem Weg dorthin möglicherweise Erich zu begegnen, und diese Vorstellung empfand sie als allzu beunruhigend. Aber nachdem sie eine Stunde lang wach im Bett gelegen hatte, war ihr klar, daß sie es möglicherweise noch eine ganze Weile würde aufschieben können, sich zu waschen, daß sie aber keine zehn Minuten mehr dem Drang, die Toilette aufzusuchen, würde Widerstand leisten können. Sie erhob sich, tappte leise ins Bad hinüber. Von unten war jetzt kein Laut zu hören. Sie verriegelte die Tür
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