Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
dieser Phase vermochten ihn selbst Hiobsbotschaften nicht zu erschüttern, und wer immer zu ihm kam, wurde mit Zigaretten und Schnaps reichlich beschenkt.
Am frühen Nachmittag ging es wieder bergab, aber er war jetzt nicht müde und unbeweglich wie am Morgen, sondern von einer vibrierenden Nervosität. Er konnte nicht still sitzen, lief hierhin und dorthin, rauchte wie besessen, drückte halbgerauchte Zigaretten aus, um sich in der nächsten Sekunde eine neue anzuzünden. Er fuhr jeden an, der ihm in den Weg kam, und manchmal zitterten seine Hände so stark, daß er kaum eine Kaffeetasse zum Mund führen konnte. Gegen fünf — Beatrice hätte die Uhr danach stellen können — überschritt er seinen Tiefpunkt und verwandelte sich langsam in den allzu redseligen, auf eine unnatürliche Weise gutgelaunten Mann, den Beatrice vom ersten Abend her noch in Erinnerung hatte. Von sechs Uhr an nahm er einige Aperitifs mit seinen Gästen — er lud jeden Abend Offiziere zum Essen ein —, und später trank er Wein, auf den er rasch mit einem puterroten Kopf und etwas ausufernder Gestik reagierte. Er lachte, redete, verkündete seine Theorien zur Lage der Welt, aber irgendwann, meist sehr rasch und ohne wirklichen Übergang, fiel er in sich zusammen, wurde von einer bleiernen Müdigkeit überwältigt, tauchte in
eine Melancholie, die an eine Depression grenzte. Seine Haut wurde fahl, die Lippen grau. Manchmal hörte ihn Beatrice durch alle Räume wandern und irgendwelche Dinge vor sich hin murmeln, die sie jedoch nicht verstand.
Eines Tages, Ende Juli, sagte Will zu Beginn der Deutschstunde mit einem geheimnisvollen Lächeln und gesenkter Stimme: »Heute wird Mrs. Feldmann erwartet. Sie soll gegen fünf Uhr hier sein.«
Beatrice hatte bis zu diesem Moment nicht gewußt, daß Erich verheiratet war. »Wirklich? « fragte sie überrascht.
Will nickte. »Es heißt, sie wollte eigentlich gar nicht herkommen, aber Major Feldmann hat darauf bestanden. Na ja, er hat vermutlich keine Lust, die ganze Zeit solo zu sein.«
Beatrice brauchte ein paar Momente, um sich von ihrem Schrecken zu erholen. Nicht, daß es ihr auch nur einen Tag lang behagt hätte, mit Erich allein zu sein, aber die momentane Situation begann ihr zumindest ein wenig vertraut zu werden. Die unbekannte Mrs. Feldmann flößte ihr Angst ein. Vielleicht entpuppte sie sich als Tyrannin, die ihr das Leben noch schwerer machen würde.
»Ach, Will«, seufzte sie. »Wie ist Mrs. Feldmann denn?«
»Ich kenne sie nicht«, sagte Will bedauernd. »Ich habe nur gehört, sie soll sehr schön sein.«
Das entmutigte Beatrice noch mehr. Sie stellte sich eine elegante, mondäne Frau vor, die wie eine Filmdiva hereingerauscht käme und sich über alles, was sie vorfand, mokieren würde. Wahrscheinlich war ihr nichts fein genug, und sie würde als erstes eine Reihe von Veränderungen einführen. Ein Mann wie Erich, der ganz offensichtlich eine bedeutende Stellung auf der Insel innehatte, mußte auch eine auffallende Frau haben.
Sie war ohnehin unglücklich und deprimiert an diesem Tag. Die ganze Zeit hoffte sie, irgendeine Nachricht ihrer Eltern werde sie erreichen, aber weder ein Brief noch eine Karte trafen ein, und das Telefon klingelte schon gar nicht, ganz gleich, wie beschwörend sie es auch anstarrte. Will sagte zwar, das habe nichts zu bedeuten, denn es bestehe für niemanden eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme zwischen England und den Kanalinseln, aber Beatrice hoffte entgegen aller Vernunft, es werde ihren Eltern gelingen, der
Tochter eine Nachricht zukommen zu lassen. Daß dies nicht geschah, machte sie trübsinnig. Noch immer vermochte sie nicht zu weinen über die grausamen Veränderungen in ihrem Leben, aber der Schmerz, der ihre Seele ausfüllte, wurde stärker. Zudem hatte Erich sie beim Frühstück heftig angefahren, er hatte in deutsch auf sie eingeredet, und sie hatte ihn nicht verstanden, was ihn aufgeregt hatte, weil sie nach seiner Ansicht viel zu langsam Fortschritte machte.
»Was tut ihr eigentlich, Will und du, jeden Tag in den zwei Stunden, die du da drüben bei ihm bist?« schrie er. Seine übliche morgendliche Lethargie wich diesmal einer heftigen Wut. »Spielt ihr Mensch ärgere dich nicht , oder was?« Er starrte Beatrice finster an. »Es ist sowieso nicht gut, daß du dich allein mit einem jungen Mann in dessen Wohnung aufhältst, darauf hätte ich längst kommen müssen. Von jetzt an kommt er hier herüber, und das Ganze findet unter meiner
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