Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Vorstellung, ihm am Eßtisch gegenüberzusitzen, schweigend vermutlich, in seine verschlossene Miene zu blicken und dabei zu wissen, daß es ihn verwirren und verunsichern würde, am nächsten Tag ihr Verschwinden zu registrieren, gab ihr einen Vorgeschmack von Triumph. Diesmal war sie um eine Nasenlänge voraus. Sie wußte etwas, was er nicht wußte. Dieser Gedanke, zusammen mit den Tabletten, schenkte ihr ein beinahe siegreiches Gefühl.
Michael erschien den ganzen Abend über nicht. Irgendwann kippte Franca das abgestandene Essen in den Abfalleimer, trank den Wein allein zu Ende, überlegte, ob sie den Tisch wieder abdecken sollte, ließ dann aber alles stehen, wie es war. Sollte Michael doch sehen, was er von nun an mit dem Haushalt anfing, es war nicht mehr ihre Sache. Sie legte sich ins Bett, und wie sie nun
schon geahnt hatte, tauchte Michael bis zum Morgen nicht mehr auf, Franca schlief nicht, und im ersten Licht des Tages - es war fünf Uhr früh - erhob sie sich und machte sich reisefertig. Das Hochgefühl war verflogen, machte tiefster Niedergeschlagenheit und Angst Platz. Sie mußte weg sein, ehe die Panik sie fest im Griff hatte, sonst schaffte sie es nicht mehr.
Sie schluckte noch einmal zwei Tabletten, obwohl dies ihre Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen würde, aber sie hätte ohne diese Unterstützung nicht die Kraft gehabt, die sie brauchte. Sie schluchzte, als sie ihr vollbeladenes Auto aus der Einfahrt steuerte und noch einmal zum Haus hinsah, das behäbig und friedlich in der Morgensonne lag und das ihr vorkam wie der einzige sichere Ort in einer bösartigen, gefährlichen Welt. Sie weinte vor Angst, und ihre Knie zitterten, aber sie bog um die nächste Straßenecke und fuhr weiter, fuhr immer schneller und weinte heftiger. Sie wußte bereits, daß sie nicht mehr umkehren würde.
2
Helene trug ein weißes Sommerkleid mit Puffärmeln, das viel zu jugendlich für sie war und sie ziemlich grotesk aussehen ließ, an dem sie aber aus unerfindlichen Gründen sehr hing. Sie trug es zu Gelegenheiten, die sie als besonders wichtig empfand. Offensichtlich zählte ein Abendessen bei Kevin für sie zu den herausragenden Anlässen.
»Wie sehe ich aus?« fragte sie, als sie in die Küche kam und ein paar tänzelnde Schritte machte, die, das mußte Beatrice zugeben, nicht ohne Grazie waren. »Ist alles in Ordnung? Meine Haare? Mein Schmuck?«
»Sie sehen perfekt aus, Helene«, sagte Franca.
Sie saß auf einem Stuhl in der Ecke, hatte ein Glas Wein vor sich und wirkte sehr müde. Sie war am Abend zuvor auf Guernsey eingetroffen, und sie konnte es bis jetzt noch nicht wirklich fassen, daß es ihr gelungen war, dieses Abenteuer ohne Probleme zu bestehen. Sie war auf eigene Faust losgefahren und genau dort angekommen,
wohin sie gewollt hatte. Sie fühlte sich etwas benommen und befangen in einem Zustand der Irritation über sich selbst.
Helene strahlte über das Kompliment. »Vielen Dank, Franca.« Wie stets in Francas Anwesenheit sprach sie deutsch, ebenso wie Beatrice. »Ich fühle mich immer so jung und beschwingt in diesem Kleid. «
Leider beschränkt es sich auf das Gefühl, dachte Beatrice, du siehst nämlich verdammt alt aus, Helene!
Helene nahm sich ein Glas aus dem Schrank und schenkte sich einen Schluck Wein ein. Sie trug schönen, alten Granatschmuck, ein Geschenk von Erich zu irgendeinem Hochzeitstag, wie Beatrice wußte. Im Schein der untergehenden Sonne jenseits des Küchenfensters blitzte und schimmerte der Schmuck in einem flammenden Rot.
»Franca und ich werden uns einen schönen, gemütlichen Abend machen«, sagte Beatrice. »Wir haben Pizza bestellt, und Wein ist glücklicherweise genug im Haus. Leider ist es noch ein bißchen zu kühl, um draußen zu sitzen.«
Der Tag war wieder sehr warm gewesen, aber kaum hatte sich die Sonne geneigt, hatte auch ein kühler Wind vom Meer aufgefrischt und ließ sie leise frösteln.
Helene summte vor sich hin. Beatrice lehnte an der Anrichte und beobachtete die alte Frau mit einer Mischung aus Gereiztheit und fast widerwilliger Belustigung.
Ein paar Minuten lang sagte keiner ein Wort, aber ehe sich die Spannung in der kleinen Küche ausbreiten konnte, hörten sie von draußen das Motorengeräusch eines heranfahrenden Wagens: Kevin kam.
Er trat einfach in die Küche, denn die Haustür hatte offengestanden, und Kevin empfand sich sowieso als Mitglied der Familie. Er hatte sich herausgeputzt an diesem Abend, denn er wußte, worauf Helene Wert legte bei
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