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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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fühlte sich jetzt ganz geborgen. Er würde nicht lernen müssen, wie man auf dem Wasser geht. Er würde auch an keine Balken genagelt werden.

    Er würde nach Hause kommen.

    Aber als er am folgenden Tag aufwachte, war es Doktor Madsen, der da stand und ihn anschaute. An der Tür lehnte Lystedt, und er vermied es, Daniel in die Augen zu sehen. Madsen war ernst.
    - Du hast Alma und Edvin große Sorgen bereitet, sagte er. Wir werden jetzt nach Hause fahren.

    Daniel schaute mit Entsetzen zu Madsen hin. Und dann zu Lystedt.

    - Ich mußte es tun, sagte er. Das Schiff ist abgetakelt. Ich segle erst im Frühjahr. Aber ich verstehe, daß du nach Hause willst.

    - Der Junge wird hierbleiben, gab Madsen scharf zurück.
    - Ich sage, was ich will, sagte Lystedt. Der Junge hat ein Recht darauf, in die Wüste zurückzukehren. Was hat er hier verloren?
    Doktor Madsen antwortete nicht. Er zog nur die Decken weg.
    - Steh auf, sagte er. Ich habe eigentlich keine Zeit. Ein schwerer Fall von kaltem Brand wartet im Krankenhaus. Aber ich werde dafür sorgen, daß du nach Hause kommst.

    Sie traten hinaus aufs Deck. Es hatte wieder zu schneien angefangen. Daniel schaute zum Himmel hinauf. Be war dort. Aber er konnte sie nicht sehen. Doktor Madsen hielt ihn an einem Arm fest und schob ihn vor sich her. Daniel riß sich los. Statt am Kai über die Reling zu springen, rannte er übers Deck und warf sich mitten hinaus ins Hafenbecken.
    Das letzte, woran er dachte, war die Antilope, der es endlich gelungen war, sich von dem Felsen zu lösen und ihren Sprung zu tun.

    26

    Für den Rest des Winters, der in Schonen stürmisch und kalt war, lag Daniel zu Bett. Was geschehen war, nachdem er sich über die Reling geworfen hatte, wußte er nicht. Als er zu sich kam, lag er wieder in seinem Bett in der Küche. Alma hatte auf einem Stuhl neben ihm gesessen, und er hatte gesehen, daß sie sich freute, als er die Augen aufschlug. Sie hatte Edvin gerufen, der hereinkam, aber als die Mägde und der Knecht ihn auch hatten sehen wollen, hatte sie diese ärgerlich hinausgescheucht. Edvin hatte ihm über die Wange gestrichen und den Kopf geschüttelt, Daniel merkte, daß ihm heiß war, und daß das Herz schlug, als wäre er im Schlaf gerannt.
    Dann hatte er angefangen zu husten. Edvin war einen Schritt zurückgewichen, während Alma das Gegenteil tat. Sie hatte sich zu seinem Gesicht gebeugt und das Kissen hinter seinem Kopf zurechtgerückt.

    Später, als Alma ihm erklärt hatte, was geschehen war, hatte er begriffen, daß er sehr lange geschlafen hatte. Sie hatte ihm einen Spiegel vors Gesicht gehalten, damit er verstand, was ihm weh tat. Da sah er, daß er an Stirn und Nase große Wunden hatte, die noch nicht verheilt waren.
    - Du bist gegen eine Eisscholle gestoßen, sagte Alma. Die hat dir das Gesicht aufgeschnitten. Aber du bist nicht untergegangen. Dafür danke ich Gott jeden Morgen und jeden Abend.

    Daniel lag im Bett. Er versuchte, sich an das zu erinnern, was geschehen war. Und er fragte sich, wo all die Träume geblieben waren. Aber er erinnerte sich an nichts. Das letzte, was er sah, war das schwarze Wasser, das ihm entgegenkam wie der aufgesperrte Rachen eines Raubtiers.
    In den Monaten, die er im Bett verbrachte, hörte er auf zu sprechen. Der Knecht war in ein Zimmer umgezogen, das rasch im Stall eingerichtet worden war. Vor das Bett der Mägde hatte Alma zwei Wandschirme gestellt. Obwohl sie es streng verboten hatte, spähten die Mädchen gern zwischen den Schirmen durch. Aber Daniel kümmerte das nicht. Er lauschte seinem Herzen, das immer noch auf der Flucht war. Auch wenn die Beine stillhielten, lief das Herz weiter. Hin und wieder kam Doktor Madsen zu Besuch. Er horchte an Daniels Brust und drückte darauf herum und rieb ihm das Gesicht mit Salben ein. Jedesmal, wenn er ins Zimmer trat, schloß Daniel die Augen. Er wollte sein Gesicht nicht sehen, weil er ihm nicht erlaubt hatte, auf dem Schiff zu bleiben.
    Jeder Besuch wurde damit beendet, daß Madsen die gleichen Worte wiederholte.
    - Der Junge ist stark erkältet. Außerdem hat er einen Husten, der mir nicht gefällt.

    Das Fieber machte Daniel sehr müde. Er verschlief den größten Teil der Zeit.

    Was am schwersten war für die, die ihn umgaben, war sein Schweigen. Auch wenn er Alma nicht traurig machen wollte, konnte er sich nicht überwinden zu sprechen. In den Träumen, die langsam wiederkamen, war er zu seiner alten Sprache zurückgekehrt.

    Einmal in der Woche kam Hallen zu

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