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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hinter dem Eckschrank. Aber ich habe alles genommen, was er besaß.
    - Ich glaube, wir brauchen kein Geld, sagte Daniel. Ich weiß, daß es irgendwo ein Schiff geben wird, das auf uns wartet.

    - Man muß Geld haben. Sonst schafft man es nicht. Sie gingen los. Doch schon nach wenigen Schritten blieben sie stehen.

    - Wohin sind wir unterwegs?
    Daniel deutete in die Richtung des Weges.
    - Zum Meer.

    - Ich glaube, es heißt Kopenhagen, sagte Sanna. Es liegt auf der anderen Seite des Wassers. Eine Stadt, die sehr groß ist.

    Sie setzten ihre Wanderung fort. Sanna ging so schnell, daß Daniel nicht mit ihr Schritt halten konnte. Erst als er anfing zu husten, hielt sie inne.

    - Du bist krank, sagte sie. Vielleicht wirst du sterben. Er schüttelte den Kopf und wischte die Tränen ab, als der Hustenanfall vorüber war.
    - Ich werde nach Hause fahren, sagte er. Dort werde ich gesund. Und du kommst mit.

    - Mir wäre lieber, du wärst es gewesen, der ihn mir reinsteckte, sagte sie. Auch wenn es ein Kind geworden wäre, das grau ist.
    - Ich kann keine Kinder bekommen, sagte Daniel. Ich bin zu klein.
    - Ich nicht, schrie Sanna. Und wenn ich so schnell laufe, wie ich kann, wird es vielleicht herausgeschüttelt.
    Am Nachmittag erreichten sie eine kleine Stadt. Während Daniel hinter einer Scheune wartete, ging Sanna los, um etwas zu essen zu besorgen. Sie kam zurück und hatte ihr Bündel mit Milch, Brot und getrocknetem Fisch gefüllt. Als sie gegessen hatten, gingen sie in einem Bogen um die Stadt. Daniel merkte, daß er wieder Fieber bekommen hatte. Aber er sagte Sanna nichts davon, sondern versuchte, mit ihr Schritt zu halten, obwohl sie sehr schnell marschierte. Der Abend kam, ohne daß Sanna haltmachen wollte. Daniel merkte, daß sie sich oft umdrehte und anschließend noch schneller ging. Er begriff, daß sie große Angst hatte.

    In der Nacht krochen sie unter eine Brücke. Sanna merkte, daß Daniel sehr erhitzt war.
    - Hüll dich darin ein, sagte sie und legte ihm den Schal um die Schultern. Dann zog sie ihn dicht an sich.
    - Kannst du es hören? fragte sie.

    - Was?
    - Das Meer?
    Daniel fühlte nur, wie das Fieber zwischen seinen Schläfen pochte.
    - Morgen, antwortete er. Morgen.

    Daniel dachte, daß keine Frau ihn je so fest gehalten hatte, nur Be war er so nahe gewesen.
    - Du hast Fieber, sagte sie. Aber du darfst nicht sterben.

    - Ich sterbe nicht. Ich bin nur müde.
    Sie fing an, ihn zu schaukeln, als wäre er ein kleines Kind.

    - Sie finden uns nicht, sagte sie. Gibt es Äpfel in dem Land,
    aus dem du kommst?
    Daniel brachte es nicht über sich, die Wahrheit zu sagen.
    - Es gibt Äpfel, sagte er. Und sie sind genauso grün wie die Äpfel, die es hier gibt.
    - Dann macht es nichts, wenn es viel Sand gibt. Hauptsache, es gibt Äpfel.
    Daniel dachte, Sanna verstünde wohl nicht, was für eine lange Reise ihnen bevorstand. Und wie anders alles werden würde. Aber er wußte auch, daß sie nicht zurück konnte. Der Mann, der sie an den Haaren gezogen hatte, hatte ihr weh getan, und Sanna hatte ihm sein Geld gestohlen. Wenn sie zurückkehrten, gäbe es keinen Ausweg mehr. Hallen würde ihn zusammen mit Sanna an die Planken nageln.

    - Ich habe Angst, sagte Sanna plötzlich, als Daniel fast eingeschlafen war. Aber zugleich bin ich froh. Zum ersten Mal mache ich etwas, das mir niemand aufgetragen hat.
    Sie fing an zu lachen. Daniel war auf einmal hellwach. Ihre Freude machte, daß das Fieber für einen Moment leichter zu ertragen war. Jetzt werden wir es schaffen, dachte er. Morgen werden wir das Schiff finden. Danach wird alles, was gewesen ist, zu einem Traum werden, an den ich mich nicht mehr erinnere.
    - Morgen kommen wir ans Meer, sagte er. Aber es ist vielleicht noch weit zu gehen. Deshalb müssen wir schlafen.

    Mehrmals wurde Daniel in der Nacht davon geweckt, daß Sanna aufstand, sich auf die Brücke stellte und in die Richtung spähte, aus der sie gekommen waren. Er verstand ihre Angst. Aber er wußte, daß niemand kommen würde. Die Leute, die hinter ihnen her waren, würden dieselbe Richtung nehmen, in die die Vögel davongeflogen waren.
    In der frühen Morgendämmerung brachen sie auf. An dem Bach, der unter der Brücke durchfloß, stillten sie ihren Durst. Anschließend teilten sie die Reste des Brotes. Der Weg war schmal und schlängelte sich durch Gehölze und über offene Felder. Spätnachmittags gelangten sie zu einer Anhöhe. Auf dem Weg hinauf mußte Daniel stehenbleiben und nach Luft schnappen.

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