Die rote Antilope
sich mit den Händen über ihre schweren Brüste. Der Knecht versuchte immer, Daniel dazu zu bringen, daß er ihr die Decke wegzog, wenn sie allein im Bett lag. Es war ihr kräftiger Körper, den er am liebsten sehen wollte.
Daniel stellte den Napf weg. Die Kühe warteten ungeduldig darauf, gemolken zu werden. Eine Henne kam an und pickte neben seiner Decke herum. Es polterte an der Tür. Serja kam herein. Sie hielt die Melkeimer in den Händen und blieb mit Tränen in den Augen vor Daniel stehen.
- Vanja ist krank, sagte sie in gebrochenem Schwedisch. Sie phantasiert.
Daniel wußte nicht, was phantasiert bedeutete. Aber er sah Serja an, daß sie Angst hatte. Er entschloß sich, sein Schweigen zu brechen.
- Tut ihr etwas weh?
- Es sitzt im Hals. Sie kann nicht atmen.
- Hat sie Schmerzen?
- Sie kann nicht atmen! Schmerzen kann man haben. Aber wenn man nicht atmen kann, stirbt man.
Dann fing sie an, die Eimer gegeneinander zu schlagen, als sei sie dabei, den Verstand zu verlieren.
- Ich muß melken, schrie sie. Aber Vanja ist krank. Und ich habe Angst. Ich schlafe im selben Bett. Vielleicht ist es ansteckend.
Sie verschwand zwischen den Kühen. Daniel konnte hören, daß sie weinte. Am späten Nachmittag kam Jonas wieder mit Essen zu ihm.
- Sie ist jetzt noch kränker, sagte er, und Daniel meinte zu merken, daß er vor angstvollem Entzücken schauderte.
- Der Doktor ist da, fuhr er fort. Aber nicht einmal Madsen kann etwas tun.
Er ging. Daniel schob den Teller zur Seite. Er war nicht hungrig. In seiner Nähe lag eine Person, die sehr krank war, die vielleicht sterben würde. Und er wußte, daß es mit ihm zu tun hatte.
Am Abend kam Alma in den Stall. Sie war blaß und bewegte sich mit äußerster Anstrengung.
- Du weißt, daß Vanja krank ist, sagte sie. Es ist so schnell gegangen, und wir wissen nicht, ob sie überlebt. Sie hat ein Geschwür im Hals. Doktor Madsen kann nicht schneiden, weil sie verbluten könnte.
- Warum ist sie krank? fragte Daniel. Alma schien es nicht zu hören.
- Das Mädchen ist erst neunzehn. Da soll man nicht sterben müssen. Da soll man leben.
Alma verließ ihn. Serja war beim Abendmelken. Daniel wartete. Als alles still war, schlich er aus dem Stall. Durchs Fenster sah er Alma auf einem Stuhl neben Vanjas Bett sitzen. Alma war auf dem Stuhl eingeschlafen. Ihre Hände ruhten im Schoß, der Kopf war auf die Brust gesunken. Vorsichtig öffnete er die Tür und ging hinein. Alma schlief. Vanja atmete röchelnd. Auf einem Tisch standen braune Medizinflaschen. Daniel sah ihr Gesicht an. Behutsam hob er die Decke. Was er wissen wollte, war, ob eins von ihren Knien geschwollen war. Ob sie im Sterben lag, weil er einen Span aus dem Holzkörper gezogen hatte, der in der Kirche hing. Aber ihre Knie sahen aus wie immer. Das Geschwür im Hals hatte nichts mit ihm zu tun. Trotzdem wußte er, daß es eine Warnung war. Der Tod war auf der Suche. Bald würde er ihn finden.
Zwei Tage später starb Vanja. Es war Alma, die zu ihm in den Stall kam und es erzählte. Sie weinte. Daniel dachte, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Wollte er es schaffen, nach Hause zurückzukehren, mußte es jetzt geschehen.
In derselben Nacht ging er hinauf zum Hügel. Sanna war noch immer nicht da gewesen. Aber jetzt wußte er, daß sie bald kommen würde.
Am Samstag wurde der Sarg auf einem Tafelwagen zur Kirche gezogen. Es regnete. Alma hatte ihm Essen in den Stall gestellt. Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Daniel streckte die Hand aus und umfaßte ihr Handgelenk. Das hatte er sehr lange nicht mehr getan.
- Das Mädchen war so jung. So jung, und schon tot.
Daniel wartete, bis der Wagen verschwunden war. Dann stand er auf. Während die Beerdigung abgehalten wurde, würde er Almas und Edvins Haus endgültig verlassen. Er ging im Stall von einer Kuh zur anderen und tätschelte sie.
Als er zum Hügel hinaufkam, saß Sanna dort und wartete auf ihn.
27
Sanna hatte den Holzspan nicht entdeckt. Sie war nicht zum Hügel gegangen, um auf ihn zu warten, sie war dorthin gegangen, um allein zu sein.
Daniel sah ihr sofort an, daß etwas passiert war. Die ganze rastlose Energie, die sie früher ausgestrahlt hatte, war fort. Sie saß regungslos da, zusammengekauert, und sie bemerkte kaum, daß er kam. Er setzte sich neben sie und wartete. Obwohl die Zeit drängte, wußte er, daß er nicht ohne sie aufbrechen konnte. Aber mit ihr zu reden war auch nicht möglich. All die unsichtbaren Türen, von denen sie
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