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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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umstellt war, waren geschlossen. Ausnahmsweise waren die schwarzen Vögel still. Sie saßen in dem Baum draußen auf dem Acker und rührten sich nicht.

    Daniel wartete. In Sannas Gesicht konnte er Streifen von Tränen erkennen. Er ahnte, daß es mit dem Mann zu tun hatte, der sie an den Haaren weggeschleift hatte.
    Erst als Daniel von einem Hustenanfall geschüttelt wurde, erwachte sie wieder zum Leben und schaute ihn an.

    - Wer ist gestorben? fragte sie.
    - Vanja.
    - Was ist geschehen?

    - Sie hatte was im Hals, das sie vergiftete und sie gezwungen hat, mit dem Atmen aufzuhören.

    - Ich habe gesehen, wie sie mit dem Sarg losgezogen sind. Erst dachte ich, du wärst tot. Dann sah ich, daß es ein großer Sarg war.

    - Ich werde fortgehen. Die Zeit ist jetzt gekommen. Ich kann nicht länger bleiben.
    Es gab ihr einen Stich.
    - Willst du immer noch, daß ich mitkomme?
    Daniel verschlug es die Sprache. Antwortete sie auf seine Frage, bevor er sie überhaupt hatte stellen können?
    - Ja, sagte er dann. Ich will, daß du mitkommst. Aber wir müssen sofort losgehen. Ehe sie aus der Kirche zurückkommen.
    Statt zu antworten, fing Sanna an zu weinen. Es war, als würde sie sich hemmungslos in einen Tränenausbruch stürzen, voller Zorn und zugleich voller Kummer.
    - Er hat sich an mir vergangen, schrie sie. Dieser verdammte, verfluchte Mistkerl hat sich an mir vergangen. Er, der für mich wie ein Vater sein wollte.
    Daniel wußte nicht, was das Wort bedeutete. Sich vergangen? Er hatte es noch nie zuvor gehört.
    - Was ist passiert? fragte er vorsichtig.

    Sanna schlug den Rock bis zur Taille hoch. Darunter war sie nackt, und Daniel sah, daß sich an der Innenseite der Schenkel getrocknetes Blut befand.

    - Hat er dich geschlagen?
    - Du bist dumm, du bist ein Kind, du begreifst überhaupt nichts. Er hat gesagt, ich soll ihm helfen, ein Kalb in einen anderen Verschlag zu bringen. Dann hat er mich zu Boden geworfen und ihn mir reingesteckt. Ich konnte nicht mal schreien. Er hat mir Stroh mit Kuhdung ins Gesicht gedrückt. Ich wäre fast erstickt. Und hinterher hat er gesagt, er bringt mich um, wenn ich etwas sage.
    Plötzlich fing sie an, sich in den Haaren unter dem Bauch zu kratzen und daran zu reißen. Daniel war noch immer nicht sicher, ob er verstanden hatte, was geschehen war.
    - Stell dir vor, wenn ich jetzt ein Kind bekomme, schrie sie. Dann sperren sie mich ins Irrenhaus von Lund.
    Sie ließ den Rock fallen und sank wieder zurück in den Lehm.
    Daniel griff nach ihrer Hand. Sie drückte so fest mit den Nägeln zu, daß er sich zusammennehmen mußte, um die Hand nicht wegzuziehen.

    Genauso plötzlich wie er angefangen hatte, war ihr Anfall wieder vorüber.

    - Ich komme mit dir. Aber ich werde nie auf dem Wasser gehen können. Ich bin zu dumm, und ich bin zu ungeschickt.
    - Wir werden nicht auf dem Wasser gehen. Dafür ist es jetzt zu spät. Wir werden uns ein Schiff suchen.
    - Ich kann nicht schwimmen.

    - Wir werden ein Schiff finden, das nicht sinkt.
    - Ich habe noch nie das Meer gesehen. Daniel grub den Holzspan aus dem Lehm.

    - Der hier wird uns schützen.
    Er erzählte von seinem nächtlichen Besuch in der Kirche.

    - Er wird uns vor den Wellen schützen, wenn sie zu hoch sind.
    Sie erhob sich und deutete auf den Weg an der anderen Seite des Hügels.

    - Da werde ich auf dich warten. Ich muß nur nach Hause laufen und etwas holen. Jetzt ist keiner da. Ich wage es.

    Dann war sie fort. Im selben Augenblick erhoben sich die Vögel aus dem Baumwipfel. Sie zogen ein paar Schleifen über seinem Kopf und verschwanden über den Äckern. Daniel folgte ihnen mit den Augen, solange er sie sehen konnte. Er dachte, daß sie während der ganzen Zeit, die er bei Alma und Edvin gewohnt hatte, dagewesen waren. Jetzt flogen sie davon. Zuvor war er in die Richtung gegangen, in die sie verschwunden waren. Jetzt begriff er, daß er in die andere Richtung gehen sollte.
    Ein letztes Mal sah er zu dem Haus hinüber. Dann ging er hinunter zum Weg und wartete auf Sanna.
    Sie kam, wie sie es versprochen hatte. Um den Kopf hatte sie einen roten Schal gebunden. In einer Hand hielt sie ein Bündel, in der anderen etwas, das Daniel nicht erkennen konnte.
    - Ich habe alles genommen, was er besaß, sagte sie, als sie ankam und die Hand aufmachte. Darin lagen Scheine von der Art, wie Vater sie immer gezählt hatte.
    - Alles, was er besaß, wiederholte sie. Er glaubte, ich wüßte nicht, wo er das Geld versteckt hat. In einem alten Gesangbuch

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