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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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aufgegangen. Daniel schlief. Bengler ging leise zur Tür hinaus. Benikkuloa war fort. Die Bastmatte hatte sie mitgenommen. Aber das dünne Stofftuch hatte sie an einer vorspringenden Dachlatte aufgehängt. Da flatterte es jetzt als Gruß an ihn, Benikkuloas Fahne. Ihm stiegen die Tränen in die Augen, und es erschien ihm genauso wahnsinnig, jetzt abzureisen, wie es einmal gewesen war, sich hierher zu begeben.

Genauso viele Fragen waren noch offen, Antworten gab es genauso wenige.

    Einer einzigen Sache war er gewiß. Die Verantwortung, die er ohne jedes Zögern für den Jungen in Anderssons Kiste übernommen hatte, war etwas, das er nicht bereuen würde. Was er sich selber nicht hatte geben können, würde er vielleicht einem anderen geben können.

    Bengler wartete, bis Daniel aufgewacht war. Dann lächelte er, zog ihm sein bestes Hemd an und trug ihn hinaus. Als Daniel den Wagen mit den vorgespannten Ochsen sah, fing er plötzlich an zu schreien und um sich zu schlagen. Bengler mußte ihn ganz fest halten, der Junge war wie eine Wildkatze. Als er seine Zähne in Benglers Nase schlug, war dieser gezwungen, ihn loszulassen. Der Junge lief schnurstracks in die Wüste hinaus. Bengler folgte ihm, während ihm das Blut übers Gesicht rann.
    Einen kurzen Moment meinte er, er müßte ihn schlagen. Aber als er den Jungen einholte, war der Gedanke schon verflogen. Noch immer brüllte er wie am Spieß und schlug wild um sich. Aber diesmal behielt Bengler ihn im Griff und schleifte ihn zum Wagen. Dort band er ihn an der Ladung fest, genau wie er damals Amos und Neka an die Wagenräder gebunden hatte. Der Junge zog und zerrte an den Stricken, seine Schreie durchbohrten Bengler wie Messer. Aber er konnte jetzt nicht mehr zurück.
    Andersson war auf die Treppe getreten und beobachtete den Auftritt.

    - Wie ich sehe, reisen Sie ab, rief er. Ein stiller Aufbruch. Ich verstehe bloß nicht, wieso Sie den Jungen so quälen müssen. Was hat er Ihnen denn getan?
    Bengler rannte auf Andersson zu. Jetzt gab es keine Furcht mehr.
    - Ich will ihn vor Ihnen in Sicherheit bringen.
    Dann stürzte er sich auf Andersson. Sie rollten im Sand herum. Andersson hatte den Angriff mit einem Brüllen beantwortet. Ringsumher standen schwarze Menschen und betrachteten stumm die weißen Männer, die sich wie rasend im Sand prügelten.
    Dann war es vorbei. Andersson streckte Bengler mit einem Treffer in den Bauch nieder. Es dauerte ein paar Minuten, ehe er wieder zu Atem kam.
    - Verschwinden Sie jetzt. Aber kommen Sie zurück. Und erzählen Sie mir, wie der Junge gestorben ist.
    Andersson drehte sich um und ging ins Haus. Auf dem Wagen schrie der Junge weiter und zerrte an den Stricken. Bengler wischte sich das Blut vom Gesicht und rief die Ochsentreiber.
    Die Schwarzen standen schweigend da.

    Für einen kurzen Augenblick dachte Bengler, er hätte einen Fehler gemacht.
    Aber er schob den Gedanken rasch beiseite.

    Erst am späten Nachmittag hörte der Junge auf zu weinen. Es geschah plötzlich, ohne Vorwarnung. Er wurde ganz still und hielt die Augen geschlossen, den Mund fest zusammengepreßt.
    Werde ich je begreifen, was er denkt? Bengler, der neben dem Wagen herging, betrachtete ihn lange. Dann lockerte er die Stricke. Der Junge rührte sich nicht. Er versteht, daß ich ihm Gutes will, dachte Bengler. Es wird Zeit brauchen. Aber schon jetzt hat er angefangen, es zu verstehen.

    Als sie einige Wochen später in Kapstadt ankamen, erfuhr Bengler, daß Wackman tot war. Er war an einem Schlaganfall gestorben, in seinem Bordell, das jetzt ein Mann aus Belgien übernommen hatte.
    Daniel schrie nicht mehr. Er sprach nicht, lächelte nie, aber er aß alles, was Bengler ihm vorsetzte. Bengler war jedoch im Zweifel, ob er nicht noch einmal versuchen würde wegzulaufen. Deshalb fesselte er ihn nachts und band sich das Ende der Schnur ums Handgelenk.
    Anfang Juli bestiegen sie ein französisches Handelsschiff, eine Barke, die nach Le Havre ging. Der Kapitän, der Michaux hieß, versicherte, dort würden sie ohne Schwierigkeiten ein Schiff finden, das sie nach Schweden brachte. Das Geld, das Bengler für den Wagen und die Ochsen bekommen hatte, würde für die Reise reichen.

    Spät am Abend des 7. Juli 1877 verließen sie Kapstadt. Da Bengler fürchtete, Daniel könnte sich über Bord werfen, wie es bei Sklaven öfter vorkam, hielt er ihn angebunden, wenn sie an der Reling standen.

    Daniel hatte die Augen geschlossen.
    Bengler hätte gern gewußt, was er hinter

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