Die rote Antilope
einen lebendigen Menschen gegen einen Sack totes Mehl eintauscht?
- Irgendein Verwandter. Seine Eltern sind tot. Es hat offenbar einen Stammeskrieg gegeben. Oder vielleicht eine Fehde. Vielleicht sind es Deutsche, die eine ihrer Jagden auf sie veranstaltet haben. Das tun sie gern. Der Junge hat keine Angehörigen mehr. Hätte ich den Tausch abgelehnt, wäre er einfach im Sand verschwunden.
- Hat er einen Namen?
- Nicht daß ich wüßte. Genausowenig weiß ich, was ich mit ihm anfangen soll. Also wird er hierbleiben. Genau wie Sie. Ein zufälliger Besucher, der hängenbleibt.
In diesem Moment wußte Bengler plötzlich, was zu geschehen hatte. Er brauchte keine Bedenkzeit. Jetzt hatte er seinen Käfer gefunden. Er würde nach Schweden zurückkehren. Der Traum von den Insekten begeisterte ihn nicht mehr. Aber der Junge da in der Kiste, oder vielleicht war es eigentlich ein Verschlag für ein Tier, dieser Junge war wirklich.
- Ich adoptiere ihn. Ich nehme ihn mit.
Zum erstenmal, seit das Gespräch begonnen hatte, zeigte Andersson Interesse. Er stellte einen Salzsack auf den Holzdielen ab und musterte Bengler mit Widerwillen.
- Was haben Sie gesagt?
- Sie haben es gehört. Ich werde ihn adoptie ren.
- Und?
- Es gibt kein Und. Es gibt nur eine Fortsetzung. Ich fahre nach Hause. Ich nehme ihn mit.
- Wozu?
- Dort kann ich ihm ein Leben bieten. Hier geht er unter. Genau wie Sie gesagt haben.
Andersson spuckte aus. Sofort war Geijer zur Stelle und wischte den Schleimklumpen mit einem Lappen weg. Bengler erinnerte sich voll Scham, wie er sich einmal erlaubt hatte, in Geijers Hände zu speien.
- Was ist das für ein Leben, von dem Sie meinen, Sie könnten es ihm bieten?
- Allemal ein besseres als das da.
- Sie bilden sich ein, er würde überleben? Eine Reise auf dem Meer? Die Kälte in Schweden? Schnee und Wind und all die stummen Menschen? Sie sind nicht nur verrückt. Sie sind außerdem überheblich. Haben Sie Ihr Insekt schon gefunden?
Bengler zeigte ihm sein Glas.
- Ein Käfer. Mit eigentümlichen Fühlern. Er ist noch nicht benannt.
- Sie werden dem Jungen das Leben nehmen.
- Im Gegenteil. Sagen Sie mir, was Sie für ihn haben wollen.
Andersson lächelte.
- Ein Versprechen. Daß Sie irgendwann zurückkommen und erzä hlen, wie es ihm ergangen ist.
Bengler nickte. Er versprach es. Immer noch bedenkenlos.
- Die Kiste will ich behalten, sagte Andersson. Das Ungeziefer bekommen Sie gratis.
Dann deutete er auf Geijer und der hob den Jungen aus der Kiste. Er war von kleinem Wuchs. Bengler schätzte ihn auf acht oder neun. Er hockte sich vor ihn hin. Als er lächelte, kniff der Junge die Augen zu, als wollte er sich unsichtbar machen. Bengler dachte, er müßte dem Jungen einen Namen geben. Das war das Wichtigste von allem. Ein Mensch ohne Namen existierte nicht. Er dachte sofort an seinen eigenen Nachnamen. Was könnte passen?
- Nennen Sie ihn doch Lazarus, schlug Andersson vor, der wieder einmal seine Gedanken gelesen hatte. War das nicht der, der von den Toten auferstanden ist? Oder warum nicht Barabbas? Damit er an Ihrer Seite an dem Kreuz hängen kann, das Sie für ihn zusammennageln?
Bengler dachte, daß er Andersson am liebsten totschlagen würde. Wenn er die Kraft dazu besäße. Aber Andersson würde ihn nur abschütteln wie ein Insekt.
- Sie finden Barabbas keine gute Idee? Bengler fühlte, daß er schwitzte.
- Barabbas ist ein Räuber. Wir sprechen davon, einem verlassenen Kind einen Namen zu geben.
- Was weiß er davon, was in der Bibel steht?
- Eines Tages wird er es wissen. Wie soll ich ihm dann erklären, daß ich ihn nach einem Räuber getauft habe?
Andersson brach in Gelächter aus.
- Ich glaube, Sie meinen es ernst. Daß der Junge mit übers
Meer genommen werden soll, und daß er es überleben wird. Wieso muß ich ausgerechnet so einen verdammten Idioten unter meinem Dach beherbergen.
- Ich gehe bald weg von hier.
Andersson breitete die Arme aus, wie zu einem Friedensangebot.
- Man könnte ihm vielleicht den Namen David geben, sagte Bengler.
Andersson runzelte die Stirn.
- An den erinnere ich mich nicht. Was hat er gemacht?
- Gegen Goliath gekämpft. Andersson nickte.
- Das könnte passen. Denn gegen einen Goliath wird er kämpfen müssen.
- Josef, sagte Andersson plötzlich. Der, der verstoßen wurde. Josef ist ein schöner Name.
Bengler schüttelte den Kopf. Sein eigener Vater hatte Josef als Zweitnamen gehabt.
- Paßt nicht.
- Wieso nicht?
-
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