Die rote Antilope
Entfernung? Wie weit lag Schweden überhaupt weg? Zugleich spürte er, daß sie ihm fehlen würde. Obwohl er nichts über sie wußte. Ihren Körper kannte er. Aber wer sie war, wußte er nicht.
Diesen letzten Abend verbrachte er mit Andersson. Es gab Straußenfleisch, in Kräutersud gedünstet. Andersson hatte einen Kanister mit Wein bereitgestellt. Als wollte er unterstreichen, daß es ein wichtiger Tag war, hatte er ein frisches Hemd angezogen. Während der ganzen Zeit, die Bengler in der Handelsstation verbracht hatte, hatte er nie erlebt, daß Bengler sich wusch. Aber er hatte sich an den Gestank gewöhnt, bemerkte ihn nicht mehr. Andersson wurde rasch betrunken. Bengler hielt sich mit dem Trinken zurück. Er fürchtete die Übelkeit, wenn er am nächsten Tag in die Wüste hinausziehen würde.
- Vielleicht werde ich Ihre Gesellschaft vermissen, sagte Andersson. Aber ich weiß, daß früher oder später wieder irgendein verrückter Schwede hier anmarschiert kommt. Mit einer sinnlosen Aufgabe, die er sich gestellt hat.
- Meine Aufgabe war überhaupt nicht sinnlos. Außerdem habe ich einen Sohn bekommen.
- Einen Sohn bekommen? Zum Teufel auch. Sie nehmen ihm das Leben! Kann sein, daß er die Schiffsreise übersteht. Aber danach? Was haben Sie sich danach vorgestellt?
- Ich werde dafür sorgen, daß er ein gutes Leben bekommt.
- Wie wollen Sie das machen? Wollen sie ihn aufspießen, wie man Insekten aufspießt? Wollen Sie ihn in eins von Ihren illustrierten Werken kleben?
Bengler dachte, daß er sich gegen die Unverschämtheiten zur Wehr setzen sollte. Aber er wußte nicht, wie. Andersson war immer noch zu stark für ihn. Es war der letzte Abend, und seine Anklagen oder Beleidigungen würden sich nicht wiederholen lassen, sie würden nur tot zu Boden fallen, kaum daß sein Wagen davongerollt wäre. Trotzdem konnte er nicht so hart dagegenhalten, wie er es gewünscht hätte.
- Ihr Leben ist nicht nur sonderbar, sagte er. Es ist vor allem jämmerlich. Sie tun so, als leisteten Sie Widerstand gegen das, was in dieser Wüste vorgeht. Diese Jagd auf Menschen, die nichts anderes getan haben, als seit Urzeiten hier zu leben. Sie geben sich empört, heucheln Menschenliebe, tun so, als wären Sie ein guter Mensch. Aber nach allem, was ich gesehen habe, sind Sie genauso widerlich wie all die anderen Weißen hier. Abgesehen von einer Person. Mir selbst.
- Ich peitsche meine Neger äußerst selten. Ich kneife sie nicht mit Zangen, gebe ihnen keine Ohrfeigen, bringe ihnen nicht den Katechismus bei. Ich halte zwar Ordnung. Aber ich reiße sie nicht mit den Wurzeln aus, damit sie im schwedischen Schnee tot umfallen. Ich stelle Ihnen eine ganz einfache Frage: Was ist schlimmer?
- Ich kann beweisen, daß Sie unrecht haben.
- Sie haben ein Versprechen gegeben. Daß Sie zurückkommen. Und erzählen.
Der Rest des Essens verlief unter Schweigen. Andersson war bald so betrunken, daß sein Blick umherirrte, ohne die Flamme der Tranlampe fixieren zu können. Bengler fand plötzlich, er gliche einem verirrten Insekt, das nachts zu einem Lichtpunkt gestrebt war, den es da eigentlich gar nicht geben sollte. In der Nacht, als letzte Aufzeichnung nach all den Briefen, die er an Matilda geschrieben hatte, notie rte er: Morgen Aufbruch. Andersson flatterte wie ein Nachtfalter um die Lampe. Ich weiß nicht, ob er ein böser Mensch ist. Aber er ist ein unvernünftiger Mensch. Er weigert sich, seine eigenen Handlungen zu durchschauen. Nachdem ich zwei Gläser Wein getrunken hatte, fing ich an zu phantasieren, daß er wirklich ein Insekt sei, das ich auf einem weißen Papierbogen aufspießte.
Über Daniel hatte er noch keine einzige Aufzeichnung gemacht. Er hatte beschlossen, bis nach ihrer Abreise damit zu warten. Wenn die Handelsstation hinter ihnen verschwunden wäre, würde er anfangen zu schreiben.
Daniel schlief auf der Matratze. Sein Mund war immer noch fest geschlossen. Bengler hätte gern gewußt, was er träumte. Obwohl er zuviel getrunken hatte und auch noch Andersson hatte ins Bett schleppen müssen, war es ihm gelungen, in dieser Nacht einen letzten Liebesakt mit Benikkolua zu vollziehen. Er war aus dem Zimmer geschwankt, in dem früher das Elfenbein lagerte, und über sie gestolpert, wie sie da auf ihrer Bastmatte lag. Wie üblich war sie unter dem dünnen Stofftuch nackt. Er wunderte sich, daß sie in der kalten Wüstennacht nie zu frieren schien.
Am Morgen wachte er sehr früh auf. Die Sonne war noch nicht
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