Die rote Antilope
den Duft von gebratenem Fleisch. Am Tag zuvor war es den Jägern gelungen, ein Zebra zu erlegen. Nun hatten sie Fleisch für mehrere Tage. Deshalb hatte Kiko Zeit, sich der Antilope zu widmen.
- Morgen machen wir weiter, sagte Kiko. Und auch noch den Tag danach. Dann wird die Nahrung verbraucht sein, und wir müssen wieder auf die Jagd gehen.
Aber waren sie je wieder zu dem Berg zurückgekehrt? Molo lag mit offenen Augen neben dem Mann, der noch nicht angefangen hatte zu schnarchen. Er konnte sich nicht erinnern.
Er hatte geschlafen, als die Männer mit den Speeren und den Gewehren ankamen. Sie waren zu Pferd gewesen, sie hatten weiße Helme getragen, obwohl nicht alle eine weiße Haut hatten. Es waren auch welche mit schwarzer Haut dabei. Sie hatten nachts das Lager eingekreist, und als die Frauen am Morgen aufwachten, waren Schüsse gefallen, und das Gemetzel hatte begonnen. Molo war überall mit Blut beschmiert gewesen, und wer ihn sah, hatte geglaubt, er sei schon tot. Hinter halb geschlossenen Augen, mit einem Herzen, das raste, als befände es sich auf wilder Flucht aus seinem Körper, hatte er gesehen, wie Be von einem Speer durchbohrt und Kiko durch den Kopf geschossen wurde.
Die Männer, die angriffen, hatten die ganze Zeit gelacht, sie hatten sich benommen, als machten sie Jagd auf Tiere. Und als Stille einkehrte und alle bis auf Molo tot waren, hatten sie aus ihren Flaschen getrunken, ein paar Ohren abgeschnitten und waren wieder davongeritten. Er hatte ihnen nachgestarrt, bis Sand und Sonne sie verschluckten.
Von dem, was dann geschah, war Molo keine Erinnerung geblieben. Als er wieder zu Bewußtsein kam, lag er auf den Planken eines rumpelnden Wagens. Andersson hatte sich über ihn gebeugt, und Molo hatte gedacht, er sei wohl doch schon tot, und das Böse persönlich sähe ihn an.
Er schrak zusammen. Für einen kurzen Moment befand er sich in einer Landschaft, die irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit lag. Dann merkte er, daß der Mann neben ihm angefangen hatte zu schnarchen. Molo drehte sich auf die Seite. Jetzt war er müde. Die Begegnung mit Kiko und der Traum von der Antilope hatten ihn angestrengt. Er rollte sich zusammen und schlief ein, als es ihm schließlich gelungen war, sein Inneres in eine weiße und ganz leere Wüste zu verwandeln.
Als Bengler am Morgen aufwachte, hatte er Kopfschmerzen und war durstig. Er erinnerte sich an das, was während der Nacht geschehen war, und beschloß, es Daniel gegenüber nicht mehr zu erwähnen. Es gab jedoch etwas anderes, das keinen Aufschub mehr duldete. Daniel war schon aufgestanden und hatte sich angezogen. Er saß regungslos auf einem Stuhl an der Wand. Bengler trank Wasser und ließ sich wieder in die Kissen sinken. Er machte Daniel ein Zeichen, daß er sich zu ihm setzten sollte.
- Du bist mein Sohn, sagte Bengler. Du heißt Daniel, und ich bin dein Vater. So sollst du mich von nun an nennen. Vater.
Daniel betrachtete ihn.
- Vater. So sollst du mich nennen. Vater.
- Vaater.
- Du mußt den Buchstaben a nicht so dehnen. Er soll kurz sein. Vater.
- Vaater.
- Du dehnst immer noch den Buchstaben a. Noch einmal. Vater.
- Vater.
- Das klingt schon besser. Ich bin dein Vater. Also sollst du
mich so nennen. Wir beide sind Vater und Daniel.
- Vaater und Daniel.
- Du hast Schwierigkeiten mit dem Buchstaben a. Aber das wird mit der Zeit besser werden. Jetzt kannst du dich wieder auf den Stuhl setzen.
Molo rührte sich nicht. Bengler deutete auf den Stuhl. Molo stand auf. Als er sich auf den Stuhl setzte, prägte er sich ein, daß er von nun an Daniel hieß.
Dann lag der Mann, den er ab jetzt Vater nennen sollte, da und sah ihn mit nur einem geöffneten Auge an.
- Diese Satansstadt, sagte er.
Daniel nickte. Er verstand die Worte nicht. Aber es ging um etwas, was Vater nicht gefiel. Daniel war immer auf der Hut, wenn der Vater anfing mit dem Mund zu hacken wie eine Axt ins trockene Holz. Sprach er von ihm oder sprach er zu ihm? Das wußte Daniel nie mit Sicherheit.
An diesem Morgen brauchte Vater sehr lange, um aus dem Bett zu kommen. Daniel saß auf seinem Stuhl und wartete. Nachdem sie gefrühstückt hatten, nahm Vater ihn mit in die Stadt. Es war warm, und Daniel trug die Schuhe in der Hand, um sich leichter bewegen zu können. Sie blieben vor einem Haus stehen, das ganz in der Nähe des Hotels lag. In einem Fenster gab es Bilder von Menschen. Sie starrten Daniel mitten ins Gesicht. Vater öffnete die Tür. Eine Glocke
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