Die rote Antilope
bekommen hatte. Daniel. Eigentlich hieß er Molo. Aber keiner, weder Andersson noch Vater, hatte sich die Mühe gemacht, ihn danach zu fragen. Er hatte einfach den langen Namen Daniel bekommen, der nichts bedeutete und den er nur mit größter Mühe aussprechen konnte.
Das zweite Wort, das er zweifelsfrei identifizieren konnte, war das Wort Satan.
Es konnte leise oder schreiend ausgesprochen werden, zischend oder mit großem Zorn. Daniel begriff, daß es für Vater ein heiliges Wort war, ein Wort, das anzeigte, daß er mit einem seiner Götter sprach. Da das Pferd für Daniel das Wichtigste war, hatte er es insgeheim Satan getauft. Wenn er ihm Heu gab, strich er ihm übers Maul und flüsterte ihm Satan ins Ohr.
Aber Vater starb nicht. Am achten Tag begann das Fieber zu sinken. Er hörte auf zu phantasieren und fiel in einen tiefen Schlaf. Daniel wartete. Er gab dem Pferd Heu und bekam Suppe von der Frau, die dem Haus vorstand, in dem sie wohnten. Oft kamen Menschen, manche sehr betrunken, um ihn anzusehen, wenn er am Bett des Kranken wachte. Sie standen in der Tür und atmeten heftig, als würde er sie erregen, und dann gingen sie wieder weg.
Als elf Tage vergangen waren, konnten sie die Reise fortsetzen. Da hatte es endlich aufgehört zu regnen. Und wieder war das, was Vater sagte, für Daniel unbegreiflich. Die Zusammenhänge, die er erkannt hatte, als Vater phantasierte, existierten nicht mehr. Das Pferd zog den Wagen durch einen fast undurchdringlichen Wald. Der Weg war schmal, sie begegneten keinem Menschen, und Daniel sah sich unaufhörlich um, da er Angst hatte, der Wald würde den Weg hinter ihnen verschlucken. Wenn er nicht auf dem Kutschbock neben Vater saß, ging er neben dem Wagen her. Aus einem Strick, den er im Stall des Gasthofs gefunden hatte, hatte er sich ein Springseil gemacht. Dann und wann fing Vater an zu singen. Aber er hörte auf, sobald er wieder husten mußte. Daniel wagte sich manchmal ein paar Meter zwischen die dicken Bäume. Gründlich studierte er den Boden, ehe er die Füße darauf setzte. Er argwöhnte, daß die Schlangen, die es in diesem Land gab, sehr giftig sein müßten.
Sie übernachteten in morschen Scheunen und lebten von trockenem Brot und Pökelfleisch. Trinkwasser fanden sie in den Bächen, die neben dem Weg flossen. Daniel suchte immerzu nach Zeichen dafür, daß es hier irgendwo Sand gab. Da sie so weit gefahren waren, mußten sie bald wieder in der Wüste sein. Von Kiko hatte er gelernt, daß eine lange Reise immer an dem Punkt endete, wo sie einmal angefangen hatte. Aber er fand keinen Sand, nur braune Erde, die voll von grauen Steinen war.
An einem späten Nachmittag geschah das, worauf Daniel gewartet hatte. Der Wald öffnete sich. Die Landschaft wurde heller. Vater zog die Zügel an. Daniel betrachtete sein Gesicht. Es war, als würde Vater Witterung aufnehmen. Die Ohren wurden spitz, die Augen blickten forschend. Dann drehte er sich zu Daniel.
- Meine Wüste, sagte er. Hier wurde ich geboren.
Er nahm nicht an, daß Daniel verstünde, was er sagte. Er reichte Daniel die Zügel und formte in der Luft einen Säugling, den er wiegte. Dann deutete er auf sich selbst.
Daniel sah sich um. Vor ihm erstreckte sich eine grüne Wiese.
Darauf stand eine verwitterte, windschiefe Zauntür.
Dann entdeckte er das Haus. Eine weiß gekalkte Wand schimmerte durch eine Gruppe von hohen Bäumen. Vater deutete auf die Zauntür und Daniel sprang herunter und machte sie für das Pferd auf. Als er sie wieder zu schließen versuchte, brach die Tür von dem vermoderten Pfosten ab. Das schien Vater nicht weiter zu kümmern, und Daniel sprang wieder auf den Wagen. Sie hielten auf dem Hof. Vater blieb still auf dem Kutschbock sitzen. Daniel merkte, daß er den Atem anhielt. Da wurde die Tür aufgemacht, und eine Frau kam heraus. Auf dem Arm trug sie ein kleines Schwein. Mit zerrissenen Kleidern und krummem Rücken ging sie auf den Wagen zu.
- Es ist niemand zu Hause, schrie sie. Alle sind tot.
- Ich bin zurückgekommen, sagte Vater.
Die Frau schien nicht zu hören, was er sagte.
- Tot, schrie sie. Und ich kaufe nichts. Vater schüttelte den Kopf.
- Ich wußte es, murmelte er und dachte an die Nacht, in der er aufgewacht war und die mahlenden Kiefer des Vaters plötzlich verstummt waren.
Er kletterte vom Wagen herunter.
- Ich bin es, schrie er der Frau ins Ohr. Hans.
Das Ferkel fuhr vor Schreck zusammen und riß sich los. Es rannte laut quiekend davon und verschwand im
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