Die rote Antilope
Unterholz. Als hätte Vater ihr das Schwein gestohlen, fing sie an, ihn zu schlagen, trommelte wie rasend auf seinem Brustkorb herum.
Daniel hielt die Zügel. Das Pferd stand regungslos da. Vater packte die Handgelenke der Frau.
- Hans, schrie er in ihr Ohr. Dann drehte er sie herum und brüllte ihr ins andere Ohr.
Sie wurde still, fing aber gleich wieder an, ihn zu schlagen.
- Wieso kommst du zurück? rief sie. Hier ist nichts, zu dem
man zurückkommen könnte.
- Mein Vater?
- Ist tot.
Dann entdeckte sie Daniel und stieß einen Schrei aus, als wäre ihr noch ein Schwein weggelaufen.
- Was um Gottes willen schleppst du denn da an?
- Er heißt Daniel. Ich habe ihn adoptiert. Er ist mein Sohn.
Die Frau fing plötzlich an, auf dem Hof herumzurennen und Laute auszustoßen, als wäre sie selbst ein Schwein. Daniel lachte. Endlich hatte er einen Menschen getroffen, den er zu verstehen glaubte. Sie spielte, wie Be gespielt hatte, und Anima, ihre Schwester, und die anderen Frauen, außer denen, die so alt waren, daß sie sich bald zum Sterben zurückziehen würden.
- Leonora, sagte Vater und deutete auf sie. Leonora, dachte Daniel. Das ist ihr Name. Genauso lang, genauso schwierig auszusprechen wie Daniel.
Die Frau verschwand kreischend im Gehölz. Vater machte Daniel ein Zeichen, vom Kutschbock zu klettern. Gemeinsam traten sie durch die morsche Tür. Zerrissene Gardinen hingen an den Fenstern, Hühner hockten auf Bilderrahmen und Treppengeländern, räudige Katzen bevölkerten Stühle und Sofas. Der Fußboden war von Mist bedeckt. Der Gestank ließ Vater und Daniel das Gesicht verziehen. In der hintersten Ecke stand ein Kalb. Daniel brach wieder in Gelächter aus. Hier war er in ein Haus gekommen, das lebte.
Aber Vater wurde böse.
- Über diese Satanswirtschaft kann man nicht lachen. Nur weinen.
Satan. Da war das Wort wieder. Daniel zuckte vor dem Schlag zurück, auf den er jetzt gefaßt war. Statt dessen packte Vater eine Schaufel, die an einem Sofa lehnte, einem ehemals roten Sofa, das jetzt von Hühnerkot grauweiß gesprenkelt war. Er fing an, nach den Katzen und Hühnern zu schlagen. Diese stoben fauchend und gackernd in verschiedene Richtungen auseinander. Das Kalb rutschte in dem Mist aus, und Vater trat die Tür ein und verjagte die Tiere, bis nur noch ein Huhn übrig war, das sich auf einen Kronleuchter geflüchtet hatte. Die Anstrengung brachte ihn zum Husten. Der Anfall war so heftig, daß er auf den Hof hinaus wankte und sich erbrach. Daniel folgte ihm. Als es vorbei war, ließ Vater sich auf die Außentreppe sinken.
- Ich hätte nicht herkommen sollen, sagte er. Und jetzt ist dieses Satansweib auch noch verrückt geworden.
Er legte sich auf den Rücken und bedeckte das Gesicht mit einem Arm. Daniel ging hinüber zu dem Pferd, machte es von den Deichseln los und führte es ins Gras. Die Frau blieb verschwunden. Das Pferd betrachtete ihn mit müden Augen. Auf der Treppe hinter sich konnte Daniel Vater wie ein Kind wimmern hören.
Vater setzte sich mit einem Brüllen auf. Seine Kleider, die schon zuvor schmutzig gewesen waren, starrten jetzt vom Kot der Tiere. Er fing an, auf den Knien durchs Gras zu kriechen. Daniel folgte ihm in einigem Abstand mit dem Pferd. Sie erreichten ein Dickicht aus zusammengewachsenen Sträuchern. Darin befand sich ein Loch. Vater kroch in das Gebüsch hinein und verschwand. Daniel überlegte, ob er allein sein wollte. Aber weinende und kriechende Menschen wollten selten allein sein, wie er aus Erfahrung wußte. Er kroch hinterher. Da drinnen gab es einen Raum ohne Decke. Zum erstenmal erlebte Daniel, daß es auch in diesem Land Zimmer ohne Türen gab, wo der Himmel sich über den Köpfen der Menschen öffnete. Im Inneren des Dickichts standen ein wackeliger Holztisch und ein Stuhl.
Auf dem Boden neben dem Stuhl lag eine weiße Kreidepfeife, wie Daniel sie Geijer in Anderssons Laden hatte rauchen sehen. Vater schob sich mühsam auf den Stuhl. Tränen strömten ihm aus den Augen. Daniel dachte, dieser Besuch wäre so etwas wie ein Ritual, vielleicht eine Art, einem Gott zu opfern. Die Frau, die schreiend weggelaufen war, und die Tiere, die im Inneren des Tempels lebten, gehörten zu diesem Ritual. Der Stuhl, auf dem Vater jetzt saß, war ein Thron. Und einer der Götter hatte bestimmt seine Pfeife vergessen.
Dies ist ein Land, in dem alle Götter auf der Flucht sind, dachte Daniel. Sie verbergen sich nicht hinter Felsen, ihre Herzen schlagen nicht hinter
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