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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Vater. Was habe ich nicht gemacht?

    - Der Herr hat nichts gesagt.
    - Du sollst mich nicht Herr nennen. Ich bin dein Vater. Also nennst du mich so. Vater.
    - Vaater.
    - Dehne den Buchstaben a nicht so. Wie oft habe ich dir das schon gesagt? Noch einmal.
    - Vater.

    - So ist es besser. Jetzt wiederholen wir die Übung mit der Tür.
    Daniel ging hinaus und schloß die Tür. Er sah noch einmal flüchtig vor sich, wie Kiko das Auge der Antilope rot bemalte, danach klopfte er an die Tür. Es kam keine Antwort. Er klopfte noch einmal.
    Vater öffnete die Tür.

- Zu fest, sagte er.
    Dann zeigte er Daniel, wie er es machen sollte.
    - Es soll wie ein entschlossenes Trommeln sein. Nicht wie das Picken eines Vogels.
    Vater schloß die Tür. Wieder sah Daniel die Antilope vor sich und klopfte. Vater antwortete. Daniel öffnete die Tür, trat ein und schloß die Tür hinter sich.
    - Diesmal hast du vergessen, einen Diener zu machen, sagte Vater.

    Täglich setzten sie die Übungen fort. Wenn Vater sich mit seinen Insekten beschäftigte, war Daniel bei den Tieren. Die krumme Frau sprach nie mit ihm. Aber sie ließ ihn die Tiere füttern, das Pferd waschen und abends die Hühner einsperren.

    Daniel dachte in dieser Zeit oft darüber nach, wie menschenleer es hier war. Abgesehen von dem Mann, der Vater hieß, und der krummen Frau sah er keine Menschenseele. Er begriff, daß das Volk, das in diesem Land lebte, sehr kleine Familien hatte, daß ihre bewaldeten Wüsten hingege n unfaßbar groß waren. Hinter dem Haus befand sich ein Hügel, auf dem er manchmal stand und hinaus in den Wind lauschte. Überall war dieser Wald, der endlos schien. Er versuchte, auf Geräusche zu achten, die er kannte. Der Wind, der durch die Bäume zog, klang anders als der Wind, der in der Wüste wehte. Einen einzigen Baum fand er, bei dem die Blätter auf die gleiche Art raschelten, wie wenn der Sand über einen Felsen strich. Einmal hatte er Vater gebeten, ihm den Namen des Baums zu sagen, und erfahren, daß er Espe hieß. Diesen Baum beschloß er zu ehren. Jeden Tag lief er hin und pinkelte neben den Stamm. Aber andere Geräusche erkannte er nicht. Sogar der Regen, der in diesem Land sehr emsig fiel, machte ein anderes Geräusch. Er lauschte den Vögeln, die zwischen den Bäumen auftauchten, aber keiner ihrer Laute war so wie die, die er früher gehört hatte. Er dachte, seine Ohren wären noch zu klein, um die Geräusche aufzufangen, die trotz allem dasein mußten. Die Geräusche von Trommeln, von Frauen, die lachten, von Männern, die ihre Geschichten erzählten, und das vereinzelte Gebrüll eines Löwen. Mitunter meinte er, das ferne Pochen einer Trommel zu hören. Aber er konnte nie ausmachen, von wo es kam. Und dann kamen die Vögel, die Vater Krähen genannt hatte, und zerfetzten die Geräusche, die er wahrzunehmen glaubte.

    Fast jede Nacht träumte er von Be. Manchmal war auch Kiko da. Aber meist war es nur Be. Sie war ihm in den Träumen sehr nah, so nah, daß er ihren Atem spüren, ihre Haare berühren, ihre Zähne sehen und sich zum Schlafen dicht neben sie auf die Bastmatte legen konnte. Sie sprach mit ihm und sagte, er fehle ihr sehr.
    Daniel wurde jeden Morgen sehr früh wach. Er war immer bei Anbruch der Morgendämmerung aufgewacht. Die krumme Frau und Vater schliefen noch. Da die Tür zugesperrt war, konnte er nicht hinausgehen. Er blieb im Bett liegen und dachte an das, was er geträumt hatte. Be hatte zu ihm gesprochen und gesagt, er fehle ihr. Ich bin ein kleiner Junge, dachte er. Ich bin viel zu weit weg gefahren. Meine Eltern und die anderen, mit denen ich zusammengelebt habe, sind tot. Trotzdem leben sie. Trotzdem sind sie mir näher als der Mann, der Vater heißt, und die Frau, die sich nicht traut, mir so nahe zu kommen, daß ich sie packen kann. Meine Reise hat viel zu lang gedauert. Ich befinde mich in einer Wüste, die ich nicht kenne, und die Geräusche, die mich umgeben, sind fremd.
    Am Morgen fragte sich Daniel oft, ob es nicht genauso gut wäre, wenn er stürbe. Dann könnte er Kiko und Be und die anderen suchen gehen. In den Träumen spürte er immer den warmen Sand unter seinen Füßen. Der einzige Sand, über den er hier verfügte, waren die paar Körner, die er aus den Kästen mit den Insekten geklaubt hatte.
    Oft weinte er sich morgens in den Tag. Er dachte, er müßte Vater sagen, wie wichtig es war, daß er zurückkehrte, sobald er gelernt hätte, das richtige Wort mit der richtigen Axt zu treffen. Das müßte

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