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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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behutsam mit den Fingerspitzen. Die Augen waren sehr dunkel, nicht rot wie bei Kikos Antilope.
    Plötzlich war Kiko ganz nahe bei ihm. Daniel konnte seinen Atem hören. Dann schlug ihm eine Rauchwolke aus der Pfeife ins Gesicht, und der Atem war nicht mehr da.

    - Du sollst da auf dem blauen Tuch stehen, sagte der Mann, der die Pfeife weggelegt hatte. Die Kleider kannst du auf den Stuhl legen.

    Daniel entkleidete sich. In einem Ofen gleich neben dem Platz, an dem er stehen sollte, brannte ein Feuer. Der Mann hatte ein Paar Handschuhe angezogen und hielt einen Pinsel in der Hand. Noch einmal umkreiste er Daniel, berührte seinen Arm und bat ihn, sich breitbeiniger hinzustellen.

    - Der Mensch ist ein seltsames Tier, sagte er. Ich glaube, ich werde dieses Bild Schwarzer Erlöser nennen.
    Dann nahm er sich ein Blatt Papier, spannte es auf ein Holzgestell und fing an, unter den Zeichenstiften und Pinseln zu wählen. Daniel stand regungslos da. Hin und wieder durfte er sich ein wenig ausruhen. Die Frau, die ihnen die Tür aufgemacht hatte, brachte Essen. Sie vermied es, Daniels nackten Körper anzusehen. Da Daniel sehr hungrig war, aß er viel und schnell. Der Mann, der die ganze Zeit lächelte, beobachtete seinen Appetit.

    - Wenn ich könnte, würde ich dir helfen, dorthin zurückzukehren, von wo du kommst, sagte er. Hier bist du nur ein sonderbares Geschöpf, für das andere bezahlen, um es zu sehen, nicht ein Mensch, der wirklich existiert.
    Er zeichnete weiter. Daniel versuchte zu verstehen, was er meinte. Aber er benötigte all seine Kraft, um regungslos da zu stehen.

    Gegen Abend legte der Mann den Pinsel weg und holte ein paar Instrumente, die er an verschiedenen Stellen an Daniels Kopf befestigte. Er schrieb etwas in ein Buch, bat Daniel, den Mund aufzusperren, steckte die Finger in seine Achselhöhlen, kitzelte ihn unter den Fußsohlen, spreizte seine Hinterbacken und zog an seinem Glied, um zu sehen, wie lang es werden konnte, und dabei machte er immerzu Notizen.

    Hinterher wurde Daniel aufgefordert, sich wieder anzuziehen. Die Schuhe ließ er weg. Der Mann forderte ihn mit einem Nicken auf, sich anzusehen, was er gezeichnet hatte.

    Daniel stellte sich vor das Holzgestell. Er sah sein eigenes Gesicht und seinen Körper.

    Er war es, der da auf dem Papier stand. Unter seinen Füßen lag das blaue Tuch. Es waren seine Haare, seine Augen, sein Mund.

    Jetzt bin ich wie die Antilope auf dem Felsen, dachte er.
    Ich bin regungslos.

    Hinter mir sind die Götter. Und sie warten darauf, daß ich wiederkomme.

    15

    In der zweiten Nacht verließ Daniel das Zimmer auf dem Dachboden, glitt wie ein Schatten die Treppe hinunter und verschwand hinaus in die Dunkelheit. Vater hatte die Tür nicht zugesperrt, er war erst spät mit blanken Augen heimgekommen, schwankend. Schuldbewußt hatte er Daniel angesehen. Aber er sagte nichts, bis er auf dem Bett in sich zusammensackte, als sei er nach einer langen, erfolglosen Jagd zurückgekehrt. Daniel war klargeworden, daß er jetzt sehr bald seine Rückkehr in die Wüste vorbereiten mußte. Die Antilope in ihm schrie nach ihrer Vollendung, und er mußte lernen, auf dem Wasser zu gehen, ehe er ganz von der Welt verschluckt würde, in der er sich jetzt befand.
    Er war in die Nacht hinausgeschlüpft, um nach dem Wasser zu suchen. Jedesmal, wenn Vater ihn mit nach draußen genommen hatte, hatte er versucht, sich die vielen Straßen zu merken, und besonders die Stellen, an denen das Wasser zum Vorschein kam, ehe es dann wieder von den hohen Häusern verschlungen wurde, die sich wie eine unförmige Bergkette ausbreiteten. Er befand sich in einer Schlucht, so schien es ihm, und die Menschen in diesem Land lebten in Höhlen, die sie in Bergwände geschlagen hatten. Außerdem waren diese Berge anscheinend von ihnen selber errichtet worden. Sie waren nicht aus der Unterwelt aufgestiegen, nicht aus den unsichtbaren Brustkörben von Göttern ausgestoßen worden, wie die Berge, die er aus seinem früheren Leben kannte. Aus dieser Schlucht mußte er heraus, er mußte es allein schaffen, und er brauchte Wasser, um die Füße daran zu gewöhnen, auf der dünnen Oberfläche zu gehen.

    Als er auf die gepflasterte Straße hinauskam, blieb er stehen.
    Die Luft war kühl, auf eine andere Art, als er es gewöhnt war. Die Nächte in der Wüste konnten kalt sein. Aber dort blieb immer noch ein Duft von der Sonne hängen, die früher oder später am Horizont aufsteigen und wieder Wärme verbreiten

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