Die rote Antilope
würde. Hie r spürte er diesen Duft nicht. Die Kälte stieg von unten hoch, durch seine Fußsohlen. Einen kurzen Moment lang wollte er umkehren. Er würde sich in der Dunkelheit und der Kälte verlieren, vielleicht nie mehr zurückfinden. Die zischenden Lampen beleuchteten die Straße fleckenweise. Eine Ratte flitzte an seinen Füßen vorbei und verschwand durch ein Loch in der Bergwand. Er hütete sich davor, in den Lichtkreis zu treten. Die Menschen, die ihn am Tag anstarrten, würden ihn in der Nacht vielleicht für ein Tier halten und ihn jagen.
Er stand ganz still und versuchte sich zu erinnern, wo sich das Wasser befand. Der kürzeste Weg war, der Straße in der Richtung zu folgen, in der sie abfiel. Früher an diesem Tag war er dort entlanggegangen, als Vater ihn in einen Keller mitgenommen hatte, wo er Essen bekam. Kurz bevor sie in den Keller hinabstiegen, hatte er das Wasser entdeckt. So nah hatte er es noch nie gesehen, seit sie in die Stadt gekommen waren.
Er kauerte sich an die Steinwand, als ein Pferdewagen vorbeiratterte. Der Mann auf dem Kutschbock schlief. Das Pferd ging langsam, mit gesenktem Kopf. Gleich darauf kamen zwei Männer, die schwankten, wie Vater es manchmal tat. Sie stöhnten und stießen gegen die Hauswände, als wären sie krank oder von Speeren oder einem Schlangenbiß verletzt.
Daniel nahm den Geruch ihrer Körper wahr. Es war ein süßlicher Gestank, wie von krepierten Tieren.
Danach wurde es still. Vorsichtig ging er die Straße hinunter. Er achtete sorgfältig darauf, wohin er die Füße setzte. Auch in dieser Schlucht konnte es Schlangen, giftige Echsen oder Skorpione geben. Bislang hatte er keine gesehen, aber in der Wüste hatte er gelernt, daß es Tiere gab, die sich nur zeigten, wenn es dunkel war. Er sank mit dem Fuß in etwas Schleimiges ein. Merkte, daß es Kot war, aber nicht von einem Tier, das konnte er riechen, es war von keinem Hund, sondern von einem Menschen. In der Wüste deckten sie immer alles zu, was sie zurückließen. Warum mußten sie Steine auf die Straßen legen, so daß die Menschen ihre Exkremente nicht verbergen konnten? Er verstand es nicht, und er wußte plötzlich, daß auch Vater es ihm nicht erklären könnte. Er tauchte den Fuß in eine Pfütze mit abgestandenem Regenwasser und streifte den Kot an den rauhen Steinen ab. Ganz in seiner Nähe, auf der anderen Seite der Wand, hörte er jemanden husten. Wieder war es, als befände sich Kiko neben ihm. Er meinte, seinen Atem am Ohr zu spüren. Aber es war keine Antilope in die Wand gekerbt, da war nur ein Gott, der hustete.
Daniel ging weiter.
Unter einer der zischenden Lampen war eine einsame Frau zu sehen. Sie ging auf und ab, als warte sie auf jemanden. Ihre Kleider waren verschmutzt, hatten aber früher kräftige Farben gehabt. Daniel mußte an einen Vogel in einem Käfig denken. Er hatte solche Vögel bei Andersson gesehen. Hennen, bevor sie verkauft oder geschlachtet wurden. Auf dem Kopf trug sie einen Hut mit einer Feder, und er konnte an ihrem Gesicht sehen, daß sie sehr jung war, sich aber wie jemand gekleidet hatte, der älter wirken möchte. Als sie den Kopf wegdrehte und für einen Moment aus dem Licht der Laterne trat, setzt er seinen Weg hastig fort. Er merkte, daß er angefangen hatte zu zittern. Vielleicht waren schon Jäger hinter ihm, ohne daß er sie gehört hatte? Er schlug eine schnellere Gangart ein. Jetzt war er bei dem Keller angekommen, wo sie gegessen hatten. Aus der Tür, die angelehnt war, drang Licht, und es roch nach gebratenem Fleisch. Jetzt mußte er nach links abbiegen, einer sehr engen Schlucht folgen, und dann würde er ans Wasser gelangen.
Er ging weiter und spürte bald den Geruch des Wassers. Schiffe lagen dicht gedrängt am Kai. Auf einigen Schiffen zogen Männer an Leinen, um die Boote in Bewegung zu halten. Vater hatte ihm erklärt, daß in diesen Booten Fische wären, Fische, die Schlangen glichen, und die sterben würden, wenn die Boote nicht vor und zurück schaukelten und immerzu frisches Wasser durch die Löcher im Schiffsrumpf strömte. Lampen mit flackernden Kerzen hingen in den Masten. Daniel wäre fast über einen Mann gestolpert, der neben einigen Tonnen schlief. Vorsichtig schlich er am äußersten Rand des Lichtscheins der Feuer am Kai entlang, an denen Männer saßen und Karten spielten. Schließlich fand er zwischen den Steinen eine Treppe. Sie führte hinunter zur Wasseroberfläche. Ganz in der Nähe waren ein paar Ruderboote
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