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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Dann kroch er hinter seinem Rücken ins Bett, kuschelte sich zusammen und preßte die Augen so fest zu, daß die Antilope sich hervorwagte. Sie löste sich von dem Felsen, tat einen Sprung und stand mit witternden Nüstern vor ihm.

    Daniel wurde davon wach, daß jemand weinte.

    Langsam drangen die Laute in seine Träume ein. Erst dachte er, es wäre eins der vielen Kinder von Bes Schwester Kisa. Sie taten sich leicht weh und weinten oft. Dann begannen der Sand und die Wärme zu verschwinden, und als er aus dem Traum auftauchte, war es Vater, den er sah. Er hatte sich ganz und gar entkleidet und saß nackt auf einem Stuhl, er weinte und hielt dabei eine Flasche in der Hand. Daniel sah ihn unter halb geschlossenen Lidern an. Es war nicht das erste Mal, daß er Vater weinen sah, wenn er mit blanken Augen nach Hause gekommen war. Das Weinen steckte in dem Zeug, von dem er zuviel trank. Daniel wußte, daß es vorbeigehen würde, daß er plötzlich aufhören würde, um sich dann lange im Spiegel zu mustern. Er würde tadelnd mit seinem Spiegelbild sprechen und mitunter in lautes Gepolter ausbrechen. Am häufigsten kam das erste Wort vor, das Daniel gelernt hatte, Satan, Satan, in einer langen und immer zornigeren Tirade.
    Hinterher war dann alles wieder wie immer. Vater würde am nächsten Tag wortkarger sein, über Kopfschmerzen klagen und sich ungeduldig zeigen, wenn Daniel nicht sofort verstand, was er meinte.

    Plötzlich wandte ihm Vater sein Gesicht zu.
    - Ich sehe, daß du wach bist. Ich sehe auch, daß du heute nacht hinter mir aufgewischt hast.

    Daniel setzte sich im Bett auf.
    - Ich hatte einen sonderbaren Traum, fuhr Vater fort. Ich träumte, du wärst weg. Aber als ich aufwachte, schliefst du hinter meinem Rücken.
    Er stand auf, blieb nicht vor dem Spiegel stehen wie üblich, sondern setzte sich auf die Bettkante und nahm Daniels Hand.
    - Heute ist ein wichtiger Tag. Ich habe kein Geld, ich kann dieses Zimmer nicht bezahlen. Darum muß das, was ich beschlossen habe, gelingen. Das, was heute abend geschehen soll. Und dazu brauche ich deine Hilfe. Ich muß sicher sein, daß du tust, was ich dir sage.
    Daniel nickte. Er hatte verstanden.

    - Heute abend werde ich öffentlich von meiner Reise in die Wüste erzählen. Ich werde einen Teil der Insekten zeigen, und ich werde dich vorführen. Dafür werde ich Geld bekommen. Wenn es gutgeht, werden später auch andere Leute darum bitten, die Insekten und dich zu sehen. Sie werden dafür bezahlen, und wir werden ein besseres Zimmer beziehen können.
    Vater war immer noch nackt. Daniel sah, daß er am Arm
    große blaue Flecken hatte. Vermutlich war er am Abend hingefallen, als er in der Dunkelheit auf dem Heimweg war und nicht mit seinen Füßen zurechtkam.

    - Nichts daran ist schwierig, fuhr er fort. Ich werde vor den versammelten Leuten auf einem kleinen Podium stehen. Ich werde die Insekten zeigen, auf eine Karte deuten und mit lauter Stimme sprechen, damit alle es hören. Du wirst auf einem Stuhl daneben sitzen. Wenn ich deinen Namen sage, mußt du aufstehen, einen Diener machen und sagen, wie du heißt. Ich heiße Daniel. Ich glaube an Gott. Nichts weiter. Wenn ich dich bitte, den Mund aufzusperren, machst du es, wenn ich dich bitte zu lachen, dann lachst du, nicht zu lange, nicht zu laut, und wenn ich dich bitte, die Backen aufzublasen, als wärst du ein Tier, dann tust du das. Hinterher nimmst du dann dein Springseil und zeigst allen, wie geschickt du damit umgehen kannst. Das ist alles. Wenn anschließend jemand zu dir hingehen und dich anfassen will, läßt du es geschehen. Du mußt denken, daß dir niemand etwas Böses will. Aber vor allem mußt du daran denken, daß wir Geld bekommen, so daß wir aus diesem Satansloch herauskommen und in ein Zimmer umziehen können, das besser ist. Hast du verstanden?
    Daniel nickte. Er hatte überhaupt nichts verstanden. Aber was Vater sagte, hatte er mit freundlicher Stimme gesagt. Es war etwas an ihm, was ihn an Be erinnerte, wenn sie und Kiko sich gestritten hatten und sie wollte, daß sie sich versöhnten.

    Für den Rest des Tages sortierte Vater seine Insekten. Er redete, als befänden sich viele Menschen in dem Zimmer, und als die Insekten sortiert und in dem kleinen Koffer verpackt waren, in dem er gewöhnlich seine Kämme und Bürsten aufbewahrte, übte er mit Daniel. Ich heiße Daniel. Ich glaube an Gott. Er korrigierte den Tonfall, bat ihn lauter zu sprechen. Er übte mit ihm, wie er vom Stuhl aufstehen, seinen

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