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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ich nicht verschwinden konnte.
    - Wohin hättest du weglaufen wollen?

    Daniel dachte nach. Er wußte, daß es Worte gab für das, wovon er träumte. Er wußte, daß es einen Punkt gab, zu dem das Wasser ihn tragen konnte. Ein kurzes Wort. Er überlegte lange.

    - Nach Hause, sagte er schließlich. Ich glaube, es heißt nach Hause.

    Sie umarmte ihn zärtlich, und er drückte sich so fest an sie wie er konnte. Eine ihrer Brustwarzen kam seinem Mund nahe, und er umschloß sie mit den Lippen, nicht, um Milch zu bekommen, sondern um ruhig zu werden.
    Er schloß die Augen und träumte. Ihr Herz schlug. Be summte irgendwo im Hintergrund. Kiko war schon eingeschlafen. Die Gerüche kamen nicht mehr vom Teppich oder von Vaters Rasierwasser. Jetzt konnte er den schwarzen Qualm des heruntergebrannten Feuers riechen, den ranzigen Duft von der alten Haut des Köchers.
    - Ich habe noch nie einen Mann so an mich gedrückt, sagte sie. Viele Männer haben es gewollt, sie haben nach meinen Knöpfen gelangt und mitten durch meine Röcke gesehen. Aber keinen habe ich so fest an mich gedrückt wie dich.
    Daniel verstand nicht, was sie meinte. Er wollte es auch gar nicht wissen. Er war schon tief in seinen Träumen. Der Nippel, den er im Mund hielt, war Kikos Hand, die ihn auf den Berg zuführte, wo die Antilope wartete. Da war auch der Schlaf, Bes Hand an seiner Wange, die dicht zusammengedrängten Körper aller Familien, die Nacht, die noch lang war, und die Morgendämmerung, die jenseits aller Träume wartete, über die sie reden würden, wenn sie wieder aufgewacht wären.
    - Ich sehe deine Trauer, sagte sie. Aber ich weiß nicht, ob du verstehst, was das Wort bedeutet.
    Daniel antwortete nicht. Er träumte.
    - Woran denkst du? fragte sie.

    - Ich werde lernen, auf dem Wasser zu gehen, antwortete er. Ich werde auf dem Rücken des Meeres nach Hause gehen, und ich werde lernen, mich so behutsam zu bewegen, daß das Tier nicht unruhig wird und mich verschlingt.
    Sie fragte, was er damit meinte. Aber da war er schon eingeschlafen.

    Aus dem Nichts erschien eine Gewitterwolke. Sie entlud sich mit Blitz und Donner direkt über seinem Kopf. Er fuhr zusammen.
    Vater stand in der Tür.
    Er hatte glasige Augen und starrte ungläubig auf das Bild, das sich ihm bot. Daniel hatte den Kopf von den Brüsten der Frau erhoben. Sie hielt ihn immer noch in den Armen.

    Vater fing an zu toben.
    - Unerträglich, schrie er. Eine Frau verschlingt meinen Sohn. Was zum Teufel ist hier los?

    Daniel bohrte sein Gesicht wieder zwischen ihre Brüste. Jetzt waren sie Felsen, die ihm einen Unterschlupf boten. Noch immer war Be in der Nähe. Die Wärme kam von ihr, und er dachte, es würde bald ein Feuer daraus, das Vater in die Flucht schlagen würde, wie man Tiere mit brennenden Fackeln verjagte.
    - Ich habe mit dem Jungen geredet, sagte die Frau. Ich habe mir seine Geschichte angehört. Es war nicht dieselbe, die Sie mir erzählt haben.
    - Dann lügt er. Er ist noch ein Kind. Ein Hottentotte aus der Wüste. Was weiß er von Wahrheit und Lüge? Er erzählt das, wovon er glaubt, Sie wollen es hören. Außerdem kann er nicht erzählen. Sein Wortschatz ist zu klein. Was hat er gesagt?
    - Die Wahrheit.
    - Und die wäre?

    - Daß es keinen Löwen gab.
    Daniel hörte zu. Er merkte Vaters Stimme an, daß er unsicher war. Die Frau hingegen war vollständig ruhig. Er spürte, daß ihr Herz nicht schneller schlug als sonst.
    - Man kann diese Situation als äußerst unsittlich betrachten, sagte Vater. Eine erwachsene Frau, die sich entkleidet und ein Kind verführt. Noch dazu ein schwarzes Kind, das Krankheiten in sich tragen kann, die niemand kennt. Würde das bekannt werden, wären Gericht oder Irrenhaus denkbare Konsequenzen. - Ich habe keine Angst.
    Vorsichtig schob sie Daniels Kopf zur Seite, bis er auf dem Teppich ruhte. Dann stand sie auf und knöpfte ihr Kleid zu.

    - Ich nenne das krank und gefährlich, sagte Vater. Sie haben einen Mann in Ihrer Nähe und vergreifen sich an einem Kind.

    Daniel hörte den Knall und wußte sofort, was es war. Sie hatte Vater mit ihrer schmalen weißen Hand ins Gesicht geschlagen.
    Aber was dann geschah, hätte er sich niemals vorstellen können. Ein Mann, der von einer Frau geschlagen wurde, müßte zusammensinken, zurückweichen, sich ducken. Doch Vater warf sich mit einem Brüllen auf sie. Er versuchte nicht, ihre Knöpfe zu öffnen, sondern riß und zerrte an ihren Kleidern, so daß die Nähte platzten. Daniel stand auf. Er

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