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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hatte, machte ihm die Tür auf. Madsen ging hinein, und die Tür wurde geschlossen. Der Kutscher war vom Kutschbock gesprungen, er stand zwischen ein paar Sträuchern und pinkelte. Daniel kletterte hinauf zu Vater, der ihn die Zügel halten ließ.

    - Jetzt müssen wir nur warten, sagte Vater. Doktor Madsen liebt die Menschen. Deshalb ist er Arzt geworden. Er hätte ein Wissenschaftler werden und an der Universität lehren können. Aber er hat es vorgezogen, in die Provinz zu gehen und Kranke zu heilen.

    - Ist jemand krank? fragte Daniel. Da drinnen in dem Haus?
    - Er führt ein Gespräch, antwortete Vater. Wir warten, bis er zurückkommt.
    - Dann fahren wir weiter?
    Vater antwortete nicht. Er kletterte vom Kutschbock herunter und ging den Feldweg entlang. Bald war er so weit gegangen, daß er sich draußen auf dem Acker ausnahm wie ein einsamer Baum. Daniel hielt die Zügel und folgte ihm mit den Augen. Noch immer konnte er nicht in Vaters Gedanken eindringen. Etwas war ganz anders als sonst, aber er wußte nicht, was. Der Kutscher kam zurück und nahm die Zügel. Sein Hosenladen stand offen, und er roch nach Urin.

    - Du kleiner schwarzer Satan, sagte er und lächelte höhnisch. Du sollst meine Zügel nicht halten.
    Hastig rutschte Daniel vom Kutschbock. Vater stand noch immer regungslos draußen auf dem Acker. Langsam, als hielte er nach etwas Ausschau, sah er sich um. Daniel sprang vom Wagen und lief zu ihm. Als er ihn erreichte, streckte Vater die Hand aus, und Daniel griff gierig danach. Es war schon mehrere Tage her, seit Vater von sich aus seine Hand ausgestreckt hatte.

    - Hier ist es einsam, sagte Vater. Einsam wie in der Wüste. Es ist, als würden Himmel und Erde verschmelzen. Man weiß nicht, wo das eine anfängt und wo das andere endet.
    Daniel verstand nicht, was er meinte. Er wußte, was die Worte
    bedeuteten, Himmel und Erde, aber nicht, was Vater erzählen wollte.
    Die Eingangstür schlug. Von fern sahen sie Madsen heraustreten. Vater hielt ihn weiter an der Hand. Als sie sich dem Haus näherten, war Madsen nicht allein. An seiner Seite standen ein Mann und eine Frau. Sie trugen graue Kleider und hatten bleiche Gesichter. Aber sie lächelten Daniel zu.
    - Es geht in Ordnung, sagte Madsen. Zehn Reichstaler im Monat. Es sind gute Menschen. Edvin und Alma Andersson. Ich habe die Frau einmal von einem Halsgeschwür befreit.

    - Ich wäre gestorben, sagte die Frau. Aber er hat es aufgeschnitten, ohne mich umzubringen.
    Vater ließ Daniels Hand los.

    - Geh dein Springseil holen.
    - Ich will nicht hüpfen, sagte Daniel.

    Jetzt war ihm wieder bange geworden. Vater war weit weg, obwohl er dicht neben ihm stand.
    - Tu, was ich dir sage, sagte Vater ungeduldig. Es dauert nur einen Augenblick.
    - Fahren wir dann weiter? Vater antwortete nicht.

    - Hol das Seil, sagte er nur. Du hast in den letzten Tagen viel zu lange still gesessen. Das tut einem Kind nicht gut.
    Daniel ging das Seil holen, das im Wagen lag. Der Kutscher stand da und strich dem Pferd über die Mähne.
    - Du kleiner schwarzer Satan, zischte er. Ich weiß doch, wie die Brut des Teufels aussieht.
    Daniel nahm das Seil und ging den Feldweg hinunter. Er sah, wie Vater den beiden die Hände schüttelte, und ihm wurde klar, daß eine große Gefahr drohte. Aber von wo, das wußte er nicht. Er versuchte zu hüpfen, stolperte aber und fiel hin. Das Seil wand sich wie eine Schlange um sein Bein. Seine Füße waren schon grau vom Lehm. Ihn fror.
    Vater rief nach ihm, und er kehrte um. Er zerrte an dem Seil und hoffte, es würde reißen.
    Vater lächelte. Aber es war ein gefährliches Lächeln.

    - Ich werde mich auf eine Reise begeben, sagte er. Eine kürzere Reise. Ich bin bald wieder da. Unterdessen wirst du hier wohnen. Bei Edvin und Alma. Sie sind gute Menschen, und sie werden dich in ihre Obhut nehmen. Was habe ich dir beigebracht zu sagen?
    - Ich heiße Daniel. Ich glaube an Gott.
    - Richtig. Und du wirst hier wohnen, bis ich wiederkomme.
    Daniel fühlte die Furcht wachsen.
    - Morgen? fragte er.
    Die Tränen hatten angefangen zu fließen. Es war wieder der geheime Fluß, der die Dämme durchbrochen hatte. Die Flut von Schmerz, die alle Menschen in sich haben, die Flut, von der Be erzählt hatte.
    - Vielleicht nicht morgen. Aber bald.
    Plötzlich war Daniel klar, daß Vater schon jetzt verschwinden würde. Es würde ihnen nicht einmal genug Zeit bleiben, um ordentlich Abschied zu nehmen. Madsen war zum Wagen gegangen, und da blieb er stehen und

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