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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wartete.
    Daniel schrie auf und klammerte sich an Vater fest. Verschwand er, wäre alles verloren. Vater würde ihn verlassen, er log, wenn er sagte, er würde wiederkommen. Er hatte ihn hierher gebracht, so weit weg vom Meer wie möglich.

    - Nimm dich zusammen, sagte Vater. Es ist zu deinem eigenen Besten.
    Daniel schrie. Er war wie ein Tier, das zur Schlachtbank geführt wird. Als Vater versuchte, seinen Klammergriff zu lösen, verbiß Daniel sich in seinem Handgelenk. Vater zuckte zurück und stürzte in den Lehm. Der Mann, der Edvin hieß, zog an Daniel, aber der ließ nicht locker. Die Zähne waren der letzte Halt im Leben, der ihm noch blieb.
    Aber er schaffte es nicht. Vater erhob sich aus dem Lehm. Von seinem Handgelenk floß Blut.

    - So geht das nicht, sagte die Frau erregt. Der Junge trauert.
    - Es geht hervorragend, sagte Vater. Abschiede sind immer dramatisch.
    - Man sollte ihm die Wahrheit sagen, sagte der Mann, der Daniels Arme festhielt. Man sollte ihm über die Dauer der Reise die Wahrheit sagen.
    - Er weiß, daß ich wiederkomme. Sobald ich weg bin, wird er sich beruhigen.
    Daniel merkte, daß der Griff um seine Arme schwächer wurde. Er riß sich los und klammerte sich wieder an Vater. Jetzt wußte er, daß die Hände nicht ausreichten. Er mußte die Zähne in ihn schlagen, es machen wie das verzweifelte Tier, sich festbeißen, und er versuchte, mit den Zähnen an Vaters Hals heranzukommen. Doch Vater schlug ihn so hart ins Gesicht, daß er hinfiel. Der Schlag hatte die Nase getroffen, und er fing an zu bluten.
    - Jetzt beruhigst du dich, schrie Vater. Ich tue alles für dich. Ich will, daß du hier wohnst, bis ich wiederkomme.
    - Das geht nicht, schrie die Frau.
    - Es geht, sagte Vater. Wenn ich erst fort bin, wird er sich beruhigen.
    Dann drehte er sich um und ging auf den Wagen zu. Er hielt ein Taschentuch gegen das blutende Handgelenk gedrückt. Daniel versuchte ihm nachzulaufen. Aber der Mann, der hinter ihm stand, packte ihn an den Armen. Der Wagen rollte davon. Vater drehte sich nicht um. Daniel hatte aufgehört zu schreien. Jetzt wimmerte er, aber leise, als wäre er schon zum Sterben in ein Dickicht gekrochen.
    Er machte die Augen zu.
    Das letzte, was er von Vater sah, war ein Bild hinter seinen Lidern. Er hielt ein Gewehr in den Händen und zielte auf eine Antilope, die sich mitten im Sprung befand.
    Der Schuß wurde abgefeuert.

    Die Antilope war fort.
    Daniel schlug die Augen auf.
    Der Wagen war verschwunden.

    Ein Vogelschwarm zeterte über einem einsamen Baum weit draußen auf einem Acker.

    In diesem Augenblick wälzte der Nebel sich heran und umhüllte alles mit seinem weißen Schweigen.

    TEIL III

    DER SOHN DES WINDES

    21

    Eines Morgens, als Daniel aufwachte, war der Boden ganz weiß. Erst glaubte er, daß er träumte, daß er noch schliefe und daß er sich wieder in der Wüste befä nde. Aber als er die schwarzen Vögel sah, die sich über dem Misthaufen zankten, und dann hinaus in den Hof trat und mit bloßen Füßen auf der kalten weißen Decke herumtrampelte, wußte er, daß er doch bei Edvin und Alma war. Er ging quer über den Hof, die Kälte drang sehr rasch in seinen Körper ein, und er sah, daß die Spuren denen glichen, die er im warmen Sand hinterlassen hatte.
    In dem kalten Weißen hinterließ er genau die gleichen Spuren wie in dem warmen Weißen. Es war ihm ein Rätsel, wie das möglich war.
    In diesem Moment war Alma auf den Hof hinausgetreten und hatte ihn entdeckt.
    - Du kannst nicht barfuß gehen bei Frost, rief sie. Zieh dir die Schuhe an.

    Während der Zeit, die vergangen war, seit Vater verschwand, war Daniel klar geworden, daß Alma sich vor ihm fürchtete. Sie mochte ihn gern, strich ihm manchmal übers Haar, besonders, wenn es keiner sah, aber sie hatte Angst. Daniel konnte sich nicht erklären, wieso. Sie vermied es, ihm in die Augen zu sehen, und wenn sie dachte, er merke es nicht, beobachtete sie ihn.
    Mit Alma teilte Daniel ein Geheimnis. Dessen war er sich sicher. Aber er wußte immer noch nicht, worum es sich eigentlich handelte.
    Edvin erschien auf der Treppe.
    - Steht der Junge barfuß im Schnee, sagte er. Wieso sagst du ihm nicht, daß er sich die Schuhe anziehen soll?
    - Das habe ich schon gemacht. Aber er rührt sich nicht. Als Edvin herauskam, hatten sich Daniels Füße bereits in Eisklumpen verwandelt. Er wollte ins Haus laufen und sich neben dem Feuer zusammenkauern, das in der Küche brannte. Aber etwas machte, daß er stehen blieb. Das

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