Die rote Antilope
seiner Familie unterwegs in der Wüste.
Er schlief wieder ein, und als er die Augen aufschlug, stand Vater am Bett. An seiner Seite ein anderer Mann, der mit freundlichen Augen lächelte.
- Das ist Doktor Madsen, sagte Vater. Er arbeitet hier am Krankenhaus. Wir haben ihn in der Stadt kennengelernt, in der wir einen Mann besuchten, der im Bett lag und uns Geld gab. Erinnerst du dich?
Daniel erinnerte sich vage. Nicht an den Mann im Bett. Aber an eine Frau, die eine Tür zu fest zugeschlagen hatte.
- Wir werden zusammen eine Reise machen, fuhr Vater fort. Wir werden losfahren, sobald es nicht mehr regnet. Wir werden am Ziel sein, ehe es Abend ist.
- Auf dem Meer? fragte Daniel.
Doktor Madsen lächelte. Vater schüttelte den Kopf.
- Nein, sagte er, nicht auf dem Meer. Noch einmal werden wir mit dem Pferdewagen fahren. Aber die Reise ist nicht lang.
Daniel stieg aus dem Bett und kleidete sich an. Es hatte aufgehört zu regnen. Als er aus dem Fenster blickte, sah er die beiden Mädchen. Er winkte ihnen zu. Aber sie bemerkten ihn nicht. Sie hatten kein Springseil bei sich.
Dann saßen sie wieder in einem Wagen. Sie rollten aus der Stadt
heraus. Daniel hätte gern gewußt, wohin sie unterwegs waren. Rings um ihn her lagen braune Äcker. Hier und da standen vereinzelte Bäume, über ihnen lärmten schwarze Vogelschwärme. Auf einigen von den Äckern sah man Wagen mit Pferden, und Menschen krochen auf der Erde herum. Vater schüttelte den Kopf.
- Kann man sich etwas Schlimmeres vorstellen? Als bis zum Hals im Matsch zu liegen und Rüben zu ernten?
- Viele von ihnen sind Polen, erwiderte Madsen. Sie kommen die Saison über her. Leben bei den Schweinen in den Ställen. Kriegen denselben Fraß wie sie. Trotzdem streiten sie sich um die Arbeit.
- Lehm, murmelte Vater. All dieser Lehm, durch den man kriechen muß. Von Anfang bis Ende.
- Ich dachte, Sie wollten in den Sand zurückkehren, sagte Madsen.
Vater warf Madsen einen Blick zu, der nickte und nichts weiter sagte. Daniel überlegte, warum. Irgend etwas machte, daß es ihm einen Stich versetzte und sein Magen sich verkrampfte. Warum wollte Vater nicht über die Wüste sprechen?
Schweigend fuhren sie weiter. Über den Bäumen zankten und kreischten die Vogelschwärme. Die Menschen krochen durch den Lehm. In der Ferne hörte man Kirchenglocken. Daniel merkte, daß die Landschaft ihn erschreckte. Nirgends gab es Wasser. Nur diesen glitschigen Lehm, der unter den Schuhen klumpte und sie noch schwerer zu tragen machte. Da war etwas, das machte, daß gerade diese Reise nicht so war wie die anderen.
Daniel versuchte, an das zu denken, was Vater gesagt hatte. Sie würden ein neues Leben anfangen. Ein Leben, das besser sein würde. Das einzige Leben, das besser sein könnte, gab es in der Wüste. Dahin mußten sie fahren. Daniel wußte, daß er Kiko und Be wiederfinden würde. Auch wenn sie tot waren, würde er sie aufspüren, und es würde dort andere Familien geben, denen er sich auf ihren Wanderungen anschließen könnte.
Er sprang vom Wagen, um sich die Beine zu vertreten.
Sofort hing der Lehm in Klumpen unter seinen Schuhen. Er zog sie aus und lief barfuß.
- Es ist zu kalt, sagte Vater. Du wirst dic h erkälten.
- Der Junge ist gesund, sagte Madsen. Er kommt schon zurecht.
Daniel blieb stehen und beobachtete einen Raubvogel, der völlig regungslos in der Luft stand. Dann stieß er herab und erlegte nur wenige Meter vor ihm eine Maus. Das Pferd scheute, als der Vogel im Sturzflug herunterkam. Der Kutscher riß an den Zügeln. Der Vogel, der ein braunes Gefieder hatte, flatterte mit seiner Beute davon.
- Ein Bussard, sagte Madsen. Hier finden sie genug Nahrung. Von Jahr zu Jahr werden es mehr.
- In diesem Moment fühle ich mich am ehesten wie die Maus, sagte Vater. Noch vor wenigen Tagen war es umgekehrt. Alles kann sich sehr schnell ändern.
Madsen nickte, aber er erwiderte nichts. Daniel wartete vergeblich auf eine Fortsetzung, die nicht kam.
Am Nachmittag bogen sie von der Hauptstraße ab und erreichten ein Dorf, in dem die Häuser niedrig waren und der Lehm sogar die Außentreppen hinaufzukriechen schien. Madsen machte ein Zeichen mit der Hand, und sie bogen noch einmal ab und kamen auf einen Feldweg, der kaum befahrbar war. Vor einem flachen Haus, das sich mit knapper Not aufrecht zu halten schien, machten sie halt. Madsen stieg aus, betrat den gepflasterten Hof und klopfte an die Tür. Ein Mann, der das Hemd über dem Bauch aufgeknöpft
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