Die rote Antilope
mich, ob er wirklich an das glaubt, was er predigt.
- Lästere nicht. Er ist ein Gottesmann. Außerdem ist er nicht hochnäsig.
- Jemand hat gesagt, er sei der Sohn einer Dorfhure oben in Småland.
- Lästere nicht. Ich will, daß du mit ihm sprichst. Edvin stand
vom Tisch auf.
- Vielleicht wird es besser, wenn er in die Schule kommt. So wie es jetzt ist, geht es nicht weiter.
Alma rieb und knetete.
- Wir müssen Geduld haben, sagte sie. Und wir müssen der Geduld Zeit geben.
Daniel sah wieder ins Feuer. Die Flammen tanzten. Wenn er die Augen schloß, ging der Tanz hinter den Lidern weiter. Die Kälte hatte ihn müde gemacht. Seit Vater verschwunden war, war Daniel jede Nacht aufgewacht. Er hatte oft geträumt, Vater stünde vor dem Haus, doch keiner hörte sein Klopfen. Aber wenn er im Dunkeln die Augen aufschlug, stand niemand draußen vor der Tür. Da waren nur der schnarchende Knecht, die Mägde und er selbst, der allein in einer Ecke der Küche schlief.
Edvin ging hinaus. Daniel machte die Augen zu. Alma rieb seine Füße. Daniel versuchte, Vater vor sich zu sehen, aber er war fort. Vielleicht lebte er nicht mehr. Dann hätte Daniel zwei Väter verloren. Erst Kiko, und dann Vater. Daniel hatte oft versucht zu verstehen, was an jenem Abend vorgefallen war, als Vater sich auf die Frau mit den Knöpfen gestürzt hatte. Alles, was seitdem geschehen war, der Plan, der geändert worden war, war von etwas beeinflußt gewesen, das passiert war, als Vater und die Frau allein waren. Daniel suchte nach einer Antwort, fand jedoch keine. Wie konnte Vater ihn einfach hier zurücklassen? An einem Ort, wo es kein Meer gab? Das einzige, was es hier gab, waren die Tümpel im Buchenwald und die Wasseransammlungen auf den Äckern, wenn es lange geregnet hatte.
Daniel wußte nicht, wie lange Vater schon fort war. Er wußte, daß es Tage waren, Wochen und Monate. Ganz sicher war er sich nur, daß seit Vaters Verschwinden der Mond viermal voll gewesen war. Es war kälter geworden und die Tage immer kürzer, und an diesem Morgen hatte sich die Erde verändert. Jetzt war sie weiß.
Während der ersten Tage hatte Daniel nur gedacht, er sei fern vom Meer zurückgelassen worden, um zu sterben. Vielleicht hatte er in dieser Zeit auch gehofft, Vater würde wiederkommen. Aber spät an einem Abend, an dem Edvin sich betrunken hatte, hatte Daniel ein Gespräch zwischen ihm und Alma in der Kammer belauscht. Sie hatten über Vater gesprochen. Die erste Zahlung von zehn Reichstalern war eingetroffen. Sie war an den Organisten Hornmann geschickt worden, der die Nachlaßverzeichnisse erstellte und ein ehrlicher Mann war. Edvin hatte gesagt, Vater würde vermutlich nie wieder auftauchen. Aber solange das Geld pünktlich kam, müßten sie sich keine Sorgen machen. Alma hatte nach der Zukunft gefragt. Was sollte geschehen, wenn Daniel heranwuchs? Und Edvin hatte geantwortet, er solle ein Knecht werden, wie alle anderen.
In diesem Augenblick war Vater endgültig verschwunden. Er hatte sich in einen Schatten verwandelt. Und Daniel hatte angefangen, ihn zu hassen. Er war ein böser Mann gewesen hinter all seinen freundlichen Worten.
Das war auch die Zeit, in der Daniel angefangen hatte, einen Plan zu entwickeln.
Darauf gekommen war er durch einen Vogel.
Jeden Morgen, wenn der Knecht zusammen mit Edvin draußen auf den Feldern war und die Mägde im Stall beim Melken, stieg Daniel auf einen Hügel, der hinter dem Haus lag. Von dort aus konnte er den Horizont sehen. Schwarze Vögel, die ständig von Unrast erfüllt schienen, standen regungslos in den Aufwinden oder kreischten in einem kleinen Gehölz mitten auf dem nächstgelegenen Acker.
Gerade an diesem Morgen hatte sich eine einsame
Sturmmöwe zu dem Schwarm gesellt. Die schwarzen Vögel hatten sie verjagt, und im Davonfliegen war sie über Daniels Kopf hinweggesegelt. Er erinnerte sich an diese Vogelart. Sie hatten in Schwärmen das Schiff umkreist, das ihn hierher gebracht hatte. Immer, wenn sich das Schiff dem Festland näherte, waren diese Vögel erschienen. Daniel ging auf, daß der Vogel sich ihm gezeigt hatte, um ihn daran zu erinnern, daß es das Meer gab, auch wenn er es nicht sehen konnte.
Er würde seine Flucht vorbereiten. Ohne daß jemand es merkte, würde er herausfinden, in welcher Richtung das Meer lag. Dann würde er weglaufen. Er würde sich einen Ort suchen, wo er allein war und lernen könnte, auf dem Wasser zu gehen. Niemand würde ihn finden, obwohl sie
Weitere Kostenlose Bücher