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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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rief er. Es sah aus wie ein Stoffetzen. Ich dachte, es wäre eingewickeltes Geld. Aber es war eine Schlange.
    Daniel fuhr es wie ein heftiger Stich in den Bauch. Darauf war er nicht gefaßt. Er hatte geglaubt, das Opfer, das er darbrachte, die von ihm gefangene Giftschlange, würde Freude auslösen.
    Die Schlange ringelte sich langsam über den Steinboden. Die
    Leute verließen fluchtartig die Bänke, und die Kirchentür wurde aufgestoßen. Zum Schluß kam ein Mann, von dem Daniel wußte, daß es ein alter Seemann war, mit einem Spaten und hieb die Schlange in zwei Stücke. Daniel hatte schon oft gesehen, wie Schlangen zerteilt wurden. Dann bewegten sich die beiden Hälften für gewöhnlich sehr schnell, mit peitschenden Schlägen. Aber die Kreuzotter bewegte sich nur langsam, und bald lag sie ganz still. Hallen war die Stufen vom Altar heruntergekommen und stand vor Daniel.
    - Hast du die Schlange in den Klingelbeutel getan? Daniel antwortete nicht. Er machte sich bereit, die Schuhe abzustreifen und aus der Kirche zu rennen.
    - Du sollst antworten, sagte Edvin. Der Pastor hat dir eine Frage gestellt.
    Daniel fuhr aus der Bank hoch. Aber er kam nicht an Edvin vorbei, der das offenbar erwartet hatte und ihn packte.
    - Wir bringen ihn in die Sakristei, sagte Hallen. Edvin hatte ihn fest im Griff. Als Daniel ihn zu beißen versuchte, um loszukommen, brüllte Edvin ihn an, er solle stillhalten. Der Mann, der den Klingelbeutel fallen gelassen und auf Daniel gezeigt und ihn beschuldigt hatte, packte ihn am Bein und drückte so fest zu, daß Daniel vor Schmerz aufschrie. Es gelang ihm, das Bein loszureißen, und er trat den Mann ins Gesicht, so daß er Nasenbluten bekam. Aber Edvin entließ ihn nicht aus seinem Griff, bis sie in der Sakristei waren. Alma kam hinterher, aber Hallen sagte zu ihr, sie solle draußen warten.
    - Ich habe keine Schlange gesehen, rief sie. Es muß jemand anders gewesen sein.

    - Er wird bald gestehen.
    - Ich will nicht, daß ihr ihm weh tut.

    Hallen schob Alma hinaus, ohne zu antworten, und zog die schwere Tür zu.
    - Lassen Sie den Jungen los und geben Sie ihm eine Ohrfeige, sagte Hallen. Dann wird er sich beruhigen.
    Edvin tat, wie ihm geheißen. Der Schlag war so hart, daß Daniel umfiel. Ihm brannte die Wange, und sein eines Auge fing an zu tränen.

    Hallen beugte sich über ihn. Er atmete schwer und keuchend, als wäre er gerannt.
    - Hast du die Schlange in den Klingelbeutel getan?

    Daniel dachte, Hallen wäre ein Raubtier, dem er auf keinen Fall in die Augen sehen dürfe. Neben ihm befand sich ein Fenster, und draußen entdeckte er Sanna, die ihre Nase an die Fensterscheibe drückte.
    Zum ersten Mal seit Vaters Verschwinden fühlte er, daß er nicht allein war. Das gab ihm dieselbe Kraft wie damals, als er klein war und Be oder Kiko neben ihm gesessen hatten. Es war das erste gewesen, was er lernte, daß ein Mensch, der allein ist, kein Mensch ist. Sanna war da draußen, sein Schmerz war der ihre, und er hatte keine Angst mehr davor, Hallen direkt in die Augen zu sehen.
    - Ich habe den Göttern geopfert.

    Hallen erhob sich, als hätte ihm Daniels Antwort einen Stoß vor die Brust versetzt.
    - Du hast eine Schlange als Opfer in den Klingelbeutel getan?

    Hallen schüttelte den Kopf und sah Edvin an.
    - Ausgerechnet an diesem Sonntag war die Kollekte dazu bestimmt, die Mission in Afrika zu unterstützen. Und dann legt dieser kleine schwarze Teufel eine Schlange in den Klingelbeutel.

    Edvin stand mit der Mütze in der Hand da. Daniel erkannte, daß er Angst vor Hallen hatte.

    - Er hat bestimmt nicht so genau gewußt, wofür die Kollekte bestimmt war.
    - Er hat eine Schlange in den Beutel getan!
    Hallen sprach jetzt sehr laut, gerade so, als befände er sich auf der Kanzel und ließe seine Worte auf die Gemeinde herunterhageln. Edvin schüttelte den Kopf.
    - Er versteht es wohl nicht.

    - Eine Schlange in der Kollekte bedeutet nicht nur eine Lästerung. Es ist eine Schande für Sie und Alma, daß Sie es nicht geschafft haben, ihm Manieren beizubringen.

    - Er weiß wohl nicht einmal, was Manieren sind. Wütend zeigte Hallen auf Daniels Füße.

    - Er hat nicht einmal Schuhe an den Füßen. Obwohl Winter ist. Er geht barfuß in die Kirche. Und das lassen Sie zu?
    Edvin versuchte sich aufzurichten, als er antwortete.

    - Er hatte Schuhe an, als wir kamen. Er muß sie abgestreift haben, als wir in der Bank saßen.

    Hallen schüttelte den Kopf.
    - Ich habe mir Mühe gegeben, sagte er. Ich

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