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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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nicht, sagte Alma. Aber ich will nicht, daß du ihn noch einmal schlägst.
    Daniel fragte sich, was eigentlich geschehen war. Er dachte, Sanna wäre die einzige, die ihm darauf antworten könnte.
    Langsam merkte er, daß Freude in ihm aufstieg. Da war eine Person, die seine Einsamkeit wegschob. Eine, die vielleicht sogar verstehen würde.
    Er dachte an das Wasser, an das nasse Fell, das sich an seine Füße würde gewöhnen müssen.
    Plötzlich kam ihm die Gewißheit.

    Sanna würde ihm zeigen, wo das Meer lag.

    24

    Ein starker Sturm zog über die schonische Ebene. Es war in der Nacht, nachdem Daniel die Schlange in den Klingelbeutel getan hatte. Er wachte davon auf, daß Edvin den Knecht schüttelte und sagte, das Stroh würde gleich vom Stalldach wehen, und die Tiere wären unruhig. Gleich darauf kam Alma herein und weckte die Mägde. Sie sollten ihr mit den Tieren helfen, damit diese nicht zu Schaden kämen. Als Alma sich mit einer Kerze in der Hand über Daniel beugte, tat er so, als ob er schliefe.

    - Ich weiß nicht warum, sagte sie. Aber mich führst du nicht hinters Licht. Ich sehe, daß du wach bist.

    Daniel schlug die Augen auf.
    - Hast du Angst vor dem Sturm? Daniel schüttelte den Kopf.
    - Ich möchte dir ja so gerne helfen. Aber wie soll man jemandem helfen, den man nicht versteht.
    Der Wind rüttelte an den Wänden des Hauses. Daniel fühlte, wie es durch die morschen Fenster zog.
    - Der Himmel ist unruhig, sagte Alma. Daniel setzte sich im Bett auf.

    - Du brauchst nicht zu helfen. Du bist noch zu klein. Daniel blieb auf der Bettkante sitzen und sah zu, wie Alma am Herd hantierte. Er kniff die Augen zu einem Spalt zusammen, so daß der Blick unscharf wurde. Es hätte Be sein können, die sich vor ihm bewegte. In seinem Inneren flüsterte er ihren Namen. Aber das Geheul des Windes war zu stark. Er konnte nicht hören, ob sie antwortete.
    Auch am folgenden Tag dauerte der Sturm an. Er kam in Böen. Zerfetzte Wolken jagten über den Himmel. Edvin und der Knecht mühten sich damit ab, das Stroh zu sichern, mit dem das Stalldach gedeckt war. Daniel durfte den Stall nicht betreten, weil die Tiere unruhig waren. Er mußte sich auch nicht auf den Weg zur Kirche machen. Hallen würde ihn empfangen, wenn der Sturm vorübergezogen war. Einer von den Bäumen aus dem Gehölz, in dem die schwarzen Vögel hausten, stürzte um. Die Vögel kreischten. Daniel stand da und beobachtete sie. Manchmal war es, als würden sie Zeichen an den Himmel malen. Er versuchte sie zu deuten, doch es gelang ihm nicht.

    Edvin war vom Dach heruntergeklettert, um zu pinkeln. Als er den Hosenladen zugeknöpft hatte, ging er zu Daniel hin.

    - Alma sagt, du hast keine Angst vor dem Sturm?
    - Ich habe keine Angst.
    Edvin strich ihm unsicher über die Wange, auf die er ihn geschlagen hatte.
    - Ich werde dich nie wieder anrühren, sagte er. Es wird nie mehr geschehen. Selbst wenn Hallen es von mir verlangt.
    Dann kletterte er wieder die Leiter hoch. Daniel sah ihm nach und entschied, daß Edvin meinte, was er sagte. Wenn er noch einmal die Hand hob, würde ihm der Schlag im Arm steckenbleiben.

    Daniel lief zum Hügel. Er hielt die Arme ausgebreitet, so daß der Mantel sich wie ein Segel hinter ihm im Wind blähte. Viele Male hatte Kiko ihm erklärt, ein Mensch könne nicht fliegen. Aber Daniel war es immer so vorgekommen, als sei er von dem, was er sagte, nicht ganz überzeugt. Er streifte die Schuhe ab und versuchte abzuheben. Aber die Füße landeten immer wieder auf dem Boden.

    Als er oben auf dem Hügel ankam, erlebte er eine Enttäuschung. Sanna war nicht da. Er sah zu dem Haus hinüber, in dem sie wohnte. Aber der Weg war leer. Er fragte sich, ob der Mann, der sie an den Haaren gezogen hatte, sie vielleicht festgebunden hätte, genau wie Vater es mit ihm getan hatte. Er beschloß, daß er versuchen würde, sie aufzuspüren, wenn sie bis zum nächsten Morgen nicht auftauchte.

    Dann lief er wieder nach Hause und setzte sich mit dem ABCBuch in die Küche. Alma war draußen bei den Mägden im Stall. Er las sich die Buchstaben laut vor. Weder Kiko noch Be konnten lesen. Oft zeichneten sie mit Stöcken in den Sand. Aber es wurden nie Worte daraus, sondern Zeichen, Gesichter, Wege. Daniel legte das Buch weg und kniete sich vor dem Fenster auf die Holzbank. Die Scheibe war beschlagen. Mit einem Finger versuchte er Bes Gesicht zu malen. Aber es sah ihr nicht ähnlich. Er hauchte auf die Scheibe, so daß sie wieder beschlug, und probierte

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