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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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habe mehrmals morgens mit ihm geredet. Aber er sagt nichts. Er fragt nur immer nach dem Wasser.
    Daniel saß auf dem Boden und schaute Sanna an. Jedesma l, wenn Edvin oder Hallen eine Bewegung machten, verschwand ihr Gesicht. Aber dann tauchte es wieder auf.
    Hallen stand mit dem Rücken zu dem großen Schrank und musterte Daniel.
    - Am nächsten Sonntag soll er vor der Gemeinde ein umfassendes Geständnis ablegen. Er soll um Verzeihung bitten.
    - Man muß vielleicht bedenken, daß er es nicht richtig versteht, sagte Edvin. Er kommt von irgendwoher, wo es nur Sand gibt. Hier leben wir im Lehm. Vielleicht denkt ein Mensch wie er anders.

    Daniel schoß durch den Kopf, daß Edvin recht hatte. Er hatte
    etwas verstanden, was nicht einmal Vater begriffen hatte.
    - Was haben Sand und Lehm mit Schlangen zu tun? wandte Hallen ein. Der Junge muß Zucht und Ordnung lernen. Er kommt zwar aus einer Wüste, aber die Mission hat gezeigt, daß Menschen sich zivilisieren lassen. Der wichtigste Schritt auf diesem Weg ist, daß er ein Geständnis ablegt und um Verzeihung bittet.
    - Dann werde ich versuchen, ihm das klarzumachen. Aber dazu werde ich wohl Ihre Hilfe brauchen, Herr Pastor.
    - Ich werde mit ihm sprechen. Morgen. Jetzt können Sie gehen.
    Sie verließen die Sakristei. Alma wartete im Mittelgang. Der Mann, den Daniel ins Gesicht getreten hatte, lag auf einer Bank, mit einem Lappen auf der Nase, um den Blutfluß zu stoppen.
    Die Schlange war fort.

    - Die Schuhe, sagte Edvin.
    Alma sah unter der Bank nach, auf der sie gesessen hatten. Sie beugte sich hinunter und hob die Schuhe auf. Daniel bedankte sich mit einem Diener und zog sie an.
    Alma untersuchte Daniels Wange.

    - Hallen hat ihn geschlagen, sagte sie.
    - Nein, das war ich, sagte Edvin.
    - War das nötig?

    - Wie soll man wissen, was nötig ist? Wie soll man begreifen, was man nicht versteht? Wo sind der Knecht und die Mägde geblieben?
    - Ich habe sie nach Hause geschickt.
    - Und auf dem Kirchplatz?

    - Da wimmelt es bestimmt von Neugierigen.
    Edvin warf die Mütze auf den Boden und ließ sich schwer auf eine der Bänke sinken.
    - Dann gibt es ein Spießrutenlaufen.
    Alma sah ihn überrascht an, während sie Daniel über die Haare strich.

    - Wir haben doch nichts getan, wofür wir uns zu schämen hätten?

    - Ich werde vielleicht so wütend, daß ich einem von denen aufs Maul haue.
    - Für heute ist hier genug geschlagen worden. Man wird doch wohl nach Hause gehen können, ohne das Gefühl, man müßte im Boden versinken?

    Edvin schüttelte unablässig den Kopf. Daniel wartete ungeduldig darauf, daß sie hinausgingen. Er hatte Sehnsucht nach Sanna. Auch wenn er nicht mit ihr reden könnte, würde er wenigstens ihr Gesicht sehen.
    Alma nahm Daniel an der Hand.

    - Jetzt gehen wir, sagte sie. Du kannst hier sitzen bleiben oder mitkommen.
    Edvin sah sie bittend an.

    - Was sollen wir tun? Vielleicht war es ein Fehler, daß wir ihn bei uns aufgenommen haben?

    - Das hat Zeit bis später. Jetzt gehen wir nach Hause. Edvin bückte sich nach der Mütze. Der Mann, der auf der Bank gelegen hatte, richtete sich auf. Er preßte den Lappen an seine Nase.
    - Er hat mir das Nasenbein zertreten, sagte er mit belegter Stimme.
    - Es gibt einen Doktor in Simrishamn, sagte Alma. Hätten Sie nicht soviel herumgeschrien und mit dem Finger auf ihn gezeigt, wäre das nicht passiert.
    Daniel hatte Alma noch nie so entschieden sprechen gehört. Der Mann auf der Bank wußte nicht, was er darauf entgegnen sollte. Er legte sich wieder hin.
    Als sie auf den Kirchplatz kamen, war dort eine große Schar von Leuten versammelt. Edvin stöhnte, und Alma holte tief Luft. Unter vollständigem Schweigen öffnete sich ihnen eine Gasse, als sie herankamen, Alma an der Spitze. Daniel sah sich nach Sanna um. Als er sie nicht fand, war er beunruhigt. Hatte er sich alles eingebildet? War es nicht ihr Gesicht, das er am Fenster gesehen hatte?

    Schließlich entdeckte er sie an der Kirchenmauer. Sie winkte ihm verstohlen zu. Daniel hob die Hand, aber Alma zog sie sofort herunter. Die Menschen ringsumher schwiegen weiterhin. Edvin trottete schwerfällig hinterher. Erst als sie draußen auf der Straße waren, holte er sie ein.

    - Hast du das gesehen? sagte er.
    - Ich habe es gesehen, sagte Alma. Und ich habe es gespürt. Aber es kümmert mich nicht. Ich möchte jetzt vor allem verstehen, warum er es getan hat.
    Edvin blieb stehen.

    - Eine Kreuzotter mitten im Winter? Woher ist sie gekommen?

    - Ich weiß

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