Die rote Farbe des Schnees
sind meinetwegen gekommen, Alice. Lenk
Jacob ab. Ich will nicht, dass es ausufert!“
Unter Alices verständnislosem
Kopfschütteln richtet Joan den Blick erneut auf die Reiter, welche nun geduldig
in der Nähe verharren. Der rechte Mann schwingt sich aus dem Sattel, nimmt die
Zügel des reiterlosen Pferdes auf, um ihr diese auffordernd entgegen zu strecken.
Durchatmend fasst sie sich ein Herz und geht auf ihn zu. Mit einem Male
vernimmt sie, wie die Musik abrupt verklingt. Im selben Moment kommt sie bei
Bruce an und lässt sich von ihm aufs Pferd helfen. Ihr Kranz aus Rosmarien
fällt dabei zu Boden. Als sie sicher im Sattel sitzt, blickt sie zu Jacob
hinüber. Er kommt aschfahl im Gesicht langsam auf sie zu. Sie schüttelt
eindringlich den Kopf, wendet dann ihr Pferd und setzt sich mit ihrer Eskorte
in Bewegung.
Von ihr
bleibt nur der von den Pferdehufen zermalmte Rosmarienkranz im Gras zurück.
Dunkle
Nacht bricht über sie herein. Die Sichel des abnehmenden Mondes leuchtet von
einem sternklaren Himmel herab und weist ihnen nur spärlich den Weg. Die Äcker
der Bauern und die anschließenden Weideflächen liegen längst hinter ihnen. Ihre
Begleiter haben Joan in ihre Mitte genommen und mit Einzug der Dunkelheit ein
gemächlicheres Tempo angeschlagen. Joan reitet nahezu apathisch. Sie empfindet
nichts als Leere. Nicht nur die Kälte der Nacht lässt sie plötzlich frösteln.
Sie verlassen den Wald, womit
sie freie Sicht auf die Burg vor ihnen haben. Diese thront auf einem schroffen
Felsen und tritt in der Dunkelheit dank ihrer weiß getünchten steinernen
Gebäude mit dem markanten Wohnturm übernatürlich deutlich hervor. Etliche
Fenster sind noch wohnlich erleuchtet. Joan krampft sich das Herz bei diesem
Anblick wieder wehmütig zusammen. Als sie vom Trab in Schritt fallen, kann sie
die Schatten der Wache oben auf dem Wehrgang der Ringmauer langsam ihre Runden
ziehen sehen. Die Grillen zirpen laut, ein Käuzchen ruft vom nahen Waldrand
herüber. Der Braune unter ihr schnaubt und nickt mit dem Kopf. Sie reiten
bergan, schlängeln sich die bewaldeten Serpentinen hinauf bis zur Zugbrücke.
Diese ist hochgezogen, das kleine Wachhäuschen unbesetzt. Die beiden trutzigen
Seitentürme des Tores wirken abweisend. Desgleichen die gähnende Schwärze der
tiefen Felsenschlucht vor ihnen, die so wirkt, als wolle sie sie verschlingen.
Joan erscheint die Burg plötzlich eigenartig bedrohlich und fremd.
„Heda!“ Bruce hat sich in den
Steigbügeln aufgerichtet und sieht in Richtung Brücke. Die Wache auf der
zinnenbesetzten Wehrmauer darüber gerät in Bewegung. Wenig später zeugt das
Rattern der Ketten vom Herunterlassen der Zugbrücke. Als diese unter Poltern vor
ihnen aufschlägt, setzen sie sich wieder in Bewegung, um durch das mächtige
Burgtor einzureiten. Etliche Fackeln an den Hauswänden tauchen den großen
Innenhof in spärliches Licht.
Sie sitzen ab. Ein Stallknecht
eilt aus dem Gesindehaus, das sich an die Wehrmauer schmiegt, herbei und nimmt
ihnen die Pferde ab. Er führt sie weg zu den Stallungen. Sie wenden sich zum
Eingang des mächtigen Wohnturmes und betreten die kleine Vorhalle. Diese wird
von Fackeln an den Wänden erhellt. Es ist niemand zu sehen. Doch aus der Küche
dahinter vernimmt Joan noch lautes Scheppern. Vielleicht kommt es aber auch aus
einem der Vorratsräume oder gar der Waffenkammer. Sie spürt den kühlen
Steinboden unter ihren dünnen Lederschuhen, während sie den Männern weiter zur
breiten Treppe folgt. Dort stellt sie überrascht fest, dass der neue Earl die
uralte, knarrende Holztreppe durch eine steinerne und somit feuerfeste ersetzen
ließ. Über diese gelangen sie in den ersten Stock. Ungeduldig winkt Bruce sie heran
und hält ihr die Tür zur Großen Halle auf. Deren Dielenboden ist wie üblich mit
Stroh ausgelegt, das leise unter ihren Tritten raschelt. An einem der drei
langen Tische sitzen noch ein paar Waffengesellen des Earls auf fellbedeckten
Holzbänken und würfeln ausgelassen beim Schein eines Talglichtes. Sie blicken
auf, als sie Joan mit ihren Begleitern gewahren und verstummen. Es berührt Joan
unangenehm, denn offenbar ist ihnen der Grund ihres Erscheinens bekannt.
Verstohlen lässt sie den Blick über die vertrauten Wandgemälde zum schönen
Kreuzgewölbe über ihr abschweifen.
Bruce hebt die Hand zum Gruß.
Ein älterer Mann hat sich erhoben und kommt auf sie zu. Graue Strähnen
durchziehen sein dichtes, schulterlanges, dunkles Haar. Eine breite
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