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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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Narbe
erstreckt sich über seine linke Wange bis zum Kinn. Er ist von kräftiger Statur
und etwas größer als der Durchschnitt. Mit kurzem Blick streift er Joan und
wendet sich an Bruce.
    „Der Lord ist noch unterwegs.
Ich werde mich um sie kümmern. ... Es gibt noch etwas Wein“, äußert er, wobei
er mit dem Kopf in Richtung seiner Kumpane weist.
    Joans Begleiter schlendern
erfreut hinüber.
    Der Mann betrachtet Joan kühl
mit hellgrauen Augen und nickt ihr knapp zu. „Ich bin Gerold. Folge mir.“
Daraufhin wendet er sich um, durchquert mit ihr im Schlepptau die Halle und
verharrt bei der Treppe zum zweiten Stock. Dort entzündet er an einer Fackel
eine Bienenwachskerze, für Joans Empfinden etwas Kostbares. Zögernd folgt sie
ihm die Treppe hinauf zu den ehemaligen Wohn- und Schlafgemächern ihrer
Familie, deren Rittern sowie Gästen. Ihr schnürt es die Kehle zu, als sie die
vertraute Umgebung erblickt.
    Gerold steuert zur Tür ihrer
ehemaligen Kinderstube, einem großen, hellen Raum, den sie liebt. Er öffnet und
lässt ihr den Vortritt.
    Sie findet die Kammer verändert
vor.
    „Bist du hungrig?“
    Sie wendet sich zu Gerold um
und schüttelt wortlos den Kopf.
    „Du findest mich unten, falls
du etwas brauchst“, murmelt er, während er ihr die Kerze reicht. Daraufhin
verlässt er den Raum und schließt die Tür.
    Joan atmet auf. Sie hatte kein
bekanntes Gesicht entdeckt und hofft, unerkannt zu bleiben. Versonnen blickt
sie sich um. Dieses Gemach diente einst ihr und ihren Geschwistern zum
Schlafen. Es weckt alte Erinnerungen in ihr. Sie war die Jüngste gewesen und
wurde von ihrem Vater bevorzugt. Ihre Mutter starb nach ihrer Geburt im
Kindbett, nur wenig später folgte ihr Joans Zwillingsschwester in den Tod. Es
war ein harter Schlag für ihren Vater, er hat später nicht noch einmal
geheiratet. Denn an Erben mangelte es ihm nicht gerade. Gabriel, ihren ältesten
Bruder, hatte sie nur selten zu Gesicht bekommen. Sie war noch nicht einmal
geboren, als sie ihn mit sieben Jahren als Pagen zu einem bekannten Adligen
gegeben hatten. Im Laufe der Jahre kam er nur selten nach Thornsby Castle zu
Besuch, zuletzt als Ritter. Sie weiß nicht einmal den Namen seines Dienstherren.
Lediglich, dass dieser im Norden des Landes sesshaft ist. Üblicherweise hätte
Gabriel als Erstgeborenem das Lehen nach dem Tode ihres Vaters zugestanden.
Doch durch dessen Hochverrat wurde ihre Familie enteignet und der Besitz ging
wieder an den König. Das liegt nun etwa zwei Jahre zurück. Ihr wird das Herz
schwer, so dass sie sich mit einem Seufzen Luft macht. Ihren königstreuen Vater
vermag sie sich nicht im Traum als Verräter vorzustellen. Nie wurde sie von
irgendeiner Seele über sein Verbrechen aufgeklärt. Es geschah in einer lustigen
Sommernacht vor etwa zwei Jahren, in der Leander sie mit seinem traurigschönen
Lied unterhielt. Ein königlicher Bote erschien in Begleitung von Soldaten und
überreichte ein königliches Schreiben, in dem Burg und Land an die Krone
zurückgingen. Es beendete jäh ihr unbekümmertes Dasein. Nur wenig Zeit war ihr
vergönnt, ein paar Habseligkeiten zu packen. ...
    Joan seufzt schwermütig,
während sie über die bunt bemalte Eichentruhe unter dem Fenster streicht.
Früher beinhaltete diese die Knabenkleidung ihrer Brüder. ... Immerhin sind
ihre Geschwister abgesichert. Eine Schwester und einen Bruder hatten ihre
Eltern bereits mit sieben Jahren ins Kloster zur Schule gegeben. Mit den
anderen verbrachte sie die anfängliche Zeit ihrer Kindheit. Die Kleinsten
hatten Dorrit, ihrer Amme, zu gehorchen. Ihre andere Schwester wurde dann mit
fünfzehn Jahren verheiratet. Doch sie starb drei Jahre später im Kindbett. Ein
Bruder starb mit sechs Jahren an einem schweren Fieber. Alexander, ihr jüngster
Bruder, wurde mit sieben Jahren ebenfalls Page bei einem Adligen. Vermutlich
ist er nun längst Knappe. Sie war seine Spielgefährtin gewesen, hatte mit ihm
so manche Meinungsverschiedenheit prügelnd ausgetragen oder mit kleinem
Holzschwert gefochten. Im Grunde liebte sie Alexander von all ihren
Geschwistern am meisten. Dann war sie plötzlich die Letzte im Hause. Ihr Vater
hatte sie einmal vor sich auf seinem Pferd mit zur Jagd genommen. Es hatte
beiden Freude bereitet. Daraufhin lehrte er sie das Reiten und nahm sie immer
häufiger mit auf die Jagd. Schließlich konnte sie perfekt mit Bogen oder
Armbrust Enten und Tauben vom Himmel herunterholen, womit er oft auf
Jagdveranstaltungen prahlte. Er hatte ihr

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