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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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da ihre Worte nur
für ihn bestimmt sind.
    Während er sein Messer in der
entsprechenden Scheide an seinem Gürtel verstaut, nickt er bedächtig. Behände
nimmt er die Trittlöcher im Felsen zu ihr herab, wobei er an seinem linken
Handballen saugt. Er muss sich vor Schreck geschnitten haben, stellt sie mit
nunmehr schlechtem Gewissen fest.
    Als er vor ihr in den Schnee
springt, nimmt er die Hand herunter. Sie sehen sich schweigend in die Augen.
Wie sehnt sie sich nach einer versöhnlichen Umarmung von ihm. Er unterbricht
ihre Gedanken, indem er plötzlich an sich herabschaut. Dicke Blutstropfen
perlen von einem Rinnsal über seinem Handballen in den Schnee. Joan betrachtet
das dunkle Rot, welches sich lochartig ins reine, unschuldige Weiß der im
Sonnenlicht glitzernden Schneekristalle frißt mit gemischten Gefühlen. Es
beunruhigt sie mit einem Male. Denn es bedeutet ihr ein schlechtes Omen.
Selbstsicher zieht sie seine Hand vor und erblickt einen hässlichen Schnitt in
seinem Ballen. Als er sich ihr entziehen will, hält sie ihn ruppig fest. Mit
geübten Bewegungen wickelt sie sich ein gegen die Kälte um ihren Hals
gewundenes Tuch ab und verbindet ihm damit notdürftig die Hand. „Ich weiß
nicht, wie es dir geht“, beginnt sie und blickt ihn wieder an. „Aber ich halte
dieses Schweigen nicht mehr länger aus. Erkläre mir endlich, was genau du mir
vorwirfst.“
    Er schnaubt verächtlich. „Du
bleibst also dabei, weiterhin das Unschuldslamm zu spielen“, donnert er zu
ihrer Überraschung.
    Joan ist verwirrt. Ratlos hebt
sie die Hände und schüttelt den Kopf dabei. Als ihr die Tränen kommen, faucht
sie ungehalten darüber und wischt sich fahrig über die Augen.
    Ihr Verhalten stimmt ihn
sichtbar nachdenklich. Ein Schneeball klatscht neben ihnen lautstark gegen den
dunklen Felsen. Die tollende Kindermeute ist nicht mehr weit.
    Malcom
atmet schwermütig durch. „Komm“, raunt er beinahe versöhnlich, als wenn ihn
sein schroffer Ton nun reuen würde. Er zieht sie flüchtig am Ärmel, um seine
Aufforderung zu untermalen und setzt sich auf das Felsentor zu in Bewegung.
Heda hatte sich neben ihn in den Schnee gesetzt, spitzt mit schräg gestelltem
Kopf die Ohren und tapst ihm daraufhin hinterher, als gäbe es nichts
Selbstverständlicheres. Joan würdigt es mit einem erstaunten Lächeln, dass ihr
Hund zum ersten Male folgt. Sie fasst sich ein Herz und geht beiden nach.
    Joan kämpft
sich verbissen durch den hohen Schnee, mühsam darauf bedacht, ihren schnell
gehenden Atem vor Malcom zu unterdrücken. Auch wenn sie bereits in seine Fußstapfen
tritt, um Kraft zu sparen, strengt sie ihr kleiner Ausflug zu ihrem Verdruß
ungewohnt an. Es macht sie wütend auf sich selbst, da sie das Gefühl hat, ihrem
Körper nicht mehr trauen zu können. Wie oft hat sie sich bereits geschworen,
dem guten Essen in Zukunft weniger zuzusagen. Doch ihr Hunger scheint stets
stärker, als ihr Wille. Zum ersten Male in ihrem Leben wünscht sie sich endlich
die Fastenzeit herbei, um abzuspecken. Denn das gewöhnliche wöchentliche Fasten
an jedem Freitag und Samstag tut dem nicht Genüge. Sie kommt sich unendlich
behäbig vor. Allerdings muss sie zu ihrer eigenen Verteidigung eingestehen,
dass die langen, weiten Weiberkleider ihren Bewegungen nicht gerade förderlich
sind. Der schwere, dicht gewalkte Wollmantel lastet zudem erdrückend auf ihren
Schultern. Obendrein hat sie Heda auf dem Arm, welche erheblich an Gewicht
zugelegt zu haben scheint. Atemlos fragt sie sich, wie lange Malcom wohl noch
am Kamm entlanggehen will, wischt sich mit einer kraftlosen Geste den Schweiß
aus den Augen. Als Malcom endlich nach links abbiegt, atmet sie erleichtert
auf. Sie gehen ein kurzes Stück bergab, mitten durch hüfthoch angewehten
Schnee, der ihr an den nackten Oberschenkeln zu kleinen, scheußlich kalten
Rinnsalen zerschmilzt. Malcom steuert direkt auf einen riesigen, schwarzen
Stein zu, dessen Oberseite einladend flach ist. Dort angekommen, klettert er
leichtfüßig hinauf, wendet sich nach ihr um und streckt ihr auf einem Bein
knieend eine Hand entgegen. Statt sie dankbar zu ergreifen, reicht sie ihm
Heda. Er setzt das Tier oben auf dem kleinen Plateau ab. Noch ehe er sich
wieder Joan zugewendet hat, steht sie bereits neben ihm, insgeheim erleichtert,
sich wenigstens noch auf ihre früheren Kletterkünste verlassen zu können.
    Schweigend setzen sie sich
einander gegenüber. Das glatte, dunkle Gestein ist von der Sonne angenehm
aufgewärmt. Es

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