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Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
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wie ehedem nebeneinander sitzend, jeden Blick mit dem anderen tunlichst
vermeiden. Man beobachtet den Hader zwischen ihnen mit dezenter Zurückhaltung.
Natürlich kann nur Isa mit solch kindlicher Neugier fragen.
    Blanche wirft Joan einen
verstohlenen Blick zu. „Das geht dich nichts an, Isabella“, weist sie ihre
Tochter zurecht und wendet sich wieder ihrer Handspindel zu.
    „Nein, lass nur“, erwidert
Joan. Mit einem Räuspern wendet sie sich an Isa. „Weißt du, es ist so, dass ER
nicht mit MIR redet. ... Ich versuchte es bereits, doch es hat nichts genützt.
Er ist aus einem unerfindlichen Grund böse mit mir.“
    „Aber warum? Habt ihr euch
gestritten?“
    „Isa“, maßregelt Blanche sie
mit missfälligem Ton. „Man durchlöchert die Menschen nicht mit Fragen.“
    „Aber es ist doch Joan“,
erwidert diese erstaunt. Durch ihre Unachtsamkeit reißt der Wollfaden, so dass
der hölzerne Wirtel laut auf die Dielen schlägt.
    Blanche ist Joans beklommene
Miene nicht entgangen. „Ich glaube, es ist genug für heute, Kleines. Du hast
mir sehr geholfen. Das Garn dürfte nun für den neuen Wandbehang reichen. Gib
mir deine Spindel und sieh einmal bei Ellinor und deinem Bruder vorbei. Sie
tollen sicher noch im Schnee auf dem Hof umher.“
    Isa reicht ihr murrend ihre
Spindel, auf deren Schaft sich bereits ein ansehnliches Fadenknäuel befindet.
Liebevoll streicht sie Heda durchs Fell, verabschiedet sich mit trügerischer
Artigkeit von ihr und Joan und schlüpft zur Tür hinaus.
    Joan starrt wieder in die
Flammen des Kaminfeuers.
    „Und du weißt wirklich nicht,
warum er so düsterer Stimmung ist“, fragt Blanche verwundert.
    Ohne aufzublicken, schüttelt
Joan den Kopf. „Das ist ja das Schlimme. Ich kann mir nicht erklären, warum er
einen solchen Groll gegen mich hegt. Er warf mir vor, ich hätte ihn belogen,
wurde jedoch nicht deutlicher.“ Betrübt seufzend blickt sie zu Blanche. „Es ist
mir noch immer ein Rätsel, wie wir uns derart verstreiten konnten. Scheinbar
führt kein Weg zu einer Aussprache. Mir ist, als wollte uns eine höhere Macht
entzweien.“ In der Tat denkt sie in letzter Zeit oft an den Fluch, der auf ihr
lastet.
    „Das sieht ihm absolut nicht
ähnlich“, grübelt Blanche. „Normalerweise trägt er sein Herz auf der Zunge.“
Bestürzt bemerkt sie Joans Tränen, legt ihr Spinnzeug beiseite und setzt sich
vertraulich neben sie. „Was ist bloß mit euch beiden?“ Tröstend streicht sie
ihr über den Rücken.
    Joan wischt sich die Tränen
weg, doch es brechen immer wieder neue hervor. Sie haben sich in den letzten
Tagen angestaut und wollen heraus. „Er kann so verdammt selbstgerecht sein. Und
stur. Bei Gott, die Sturheit eines Esels ist nichts dagegen!“
    Blanche nickt. „In dieser
Hinsicht stehst du ihm offenbar in nichts nach“, bemerkt sie trocken.
Versöhnlich drückt sie auf Joans betretene Miene hin deren Arm. „Entschuldige,
aber es ist so. Das musst du von deinem Vater haben. ... Andernfalls wärst du
Malcom längst entgegengekommen, hättest das Gespräch mit ihm gesucht, um diese
Unklarheit aus der Welt zu schaffen. Stattdessen spielst du die Verletzte.“
    Joan schnieft. „Du tust mir
Unrecht. Ich versuchte es doch bereits. Doch ich fürchte, mir steht mein loses
Mundwerk zu sehr im Wege.“
    „Oh nein. Es im Zaum zu halten
ist in diesem Falle unverzeihlich. Besser, ihn mit einem direkten Wort zu
verletzen, als sich nicht auszusprechen.“
    Joan macht eine hilflose Geste.
„Wir würden nur erneut aneinander geraten.“
    „Joan. Versuche, ihn zu
verstehen. Bedenke, dass er Gehorsam gewöhnt ist.“
    „Du sagst Raymond doch
ebenfalls deine Meinung“, erwidert Joan trotzig. Insgeheim weiß sie genau, dass
Blanche Recht hat. Doch sie kann einfach nicht aus ihrer Haut. Denn es ist
immer wieder ihr Temperament, welches sie respektlos erscheinen lässt und dem
sie Streitigkeiten mit Malcom verdankt. Sie fürchtet einen erneuten
undurchsichtigen Streit mit ihm, der zu nichts weiter führen würde, außer
seinem beleidigten Gebaren.
    „Natürlich halte ich mich nicht
mit meiner Meinung zurück, wenn sie gefragt ist. Doch auch Ray erwartet, dass
ich mich ihm letzten Endes unterordne und seinem Willen füge. Das ist nun
einmal so zwischen Mann und Frau. Du hast es sicher nie kennen gelernt, da du
keine Mutter mehr hattest.“
    Joan nickt versonnen. Wie noch
nie zuvor bekam sie es in letzter Zeit bei jeder Gelegenheit zu spüren, dass
sie ohne Mutter aufwuchs, welche ihr

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